Kamerun

Wanderung auf den Mount Cameroon – Tag 1: Vom Regenwald auf die Berghütte in der Savanne

 Tag 1 von 3. Diese Blogreihe erzählt von meiner Reise in den Südwesten Kameruns, von meiner Wanderung auf den höchsten Berg Westafrikas, den Fako und von dem Tag danach am paradiesischen Vulkanstrand Limbé‘s.

Ankunft in Buea, Stadt der Gastfreundschaft

Die Busfahrt in den Südwesten Kameruns verläuft merkwürdig leise und effizient. Keine lauten Afrobeats, keine erzwungene Fernsehbeschallung, keine Mittagspausen. Mir bleibt also nur noch der Blick aus dem Fenster. Ich schaue also mit der Nase auf der Busscheibe klebend auf die endlosen, vom Wind geneigten Palmölplantagen. Die Bäume reihen sich nach Brandenburger Art in geraden Linien und festen Abständen aneinander, ohne jemals einen Fremdkörper zwischen ihren Reihen zu dulden. Wir passieren Ortschaften, in denen Menschen vor Mikrokreditinstituten Schlange stehen und in denen sich deutlich weniger Plastikmüll stapelt als im Rest des Landes. Es ist der erste Vorgeschmack auf das vor mir liegende anglofone Kamerun, welches sich 1961 der damals noch jungen frankofonen Republik Kamerun angeschlossen hat. Trotz 50 Jahren Einheit ist das Land nicht wirklich zusammengewachsen – im Gegenteil: Die fundamentalen Unterschiede führten die Region in den letzten Jahren in einen Bürgerkrieg. Heute ist sie auf bizarre Weise Urlaubsparadies und Standort des „weltweit meist übersehenden Konflikts“ zugleich.

Wir überholen noch ein paar schnaufende Laster an steilen, kurvigen Abschnitten und erreichen dann auf eintausend Höhenmetern das Plateau der Landeshauptstadt Buea. Der Busbahnhof liegt im Downtown der Studentenstadt, die sich vielleicht deswegen so gut zum Studieren eignet, weil die Region eine der regenreichsten der Welt ist. Hier begrüßt mich Paul. Paul, immer „cool“, wenn man ihn nach seinem Gemütszustand fragt, ist ein professioneller Tennisspieler, ehemaliger Geologiestudent und seit seinem Versuch mir Tennis beizubringen ein guter Freund. Mit ihm will ich den Kamerunberg besteigen.

Am Nachmittag entschließen wir uns zu einem Spaziergang über seinen ehemaligen Campus, ein grüner Park mit Freilufthörsälen, kleinen Wäldern und klobigen Betonbauten. Gerade schwärmt eine schwatzende Gruppe Studierender aus dem Gelände. Einer der Studenten begrüßt mich mit „Good Morning“. „I feel you“, denke ich und entgegne „Good afternoon.“

Ich setze mit meiner Kamera auf einen von Vogelnestern überhangenen Baum an, während mir Paul etwas über die Geschichte Buea’s erzählt. Lange Zeit schon eine Siedlung Einheimischer wurde der Ort im ausgehenden 19. Jahrhundert von der deutschen Kolonialmacht gewaltsam übernommen und zum Verwaltungssitz erklärt. Andenken an die Zeit existieren bis heute. In der historischen Oberstadt findet man einen alten Bismarckbrunnen, ein deutsches Posthaus und die Villa Puttkammer, Sitz des damaligen Gouverneurs. Zwischenzeitlich in den Händen der Briten ist das immer noch erhaltene Gebäude heute die Privatresidenz des kamerunischen Präsidenten Paul Biya. Trotz seiner zehnjährigen Abwesenheit ist das Gebäude für die Öffentlichkeit gesperrt.

Ich drücke auf den Auslöser und wunder mich über den schrägen Horizont. Ich blicke auf und bemerke erst jetzt: Das ist nicht der Horizont im klassischen Sinne, das ist der Kamerunberg! Majestätisch liegt er vor uns, dieser 4090 Meter hohe Vulkan, wie ein schlafender Riese, eingehüllt in eine Decke weicher Wolken. Sanft wirkt sein langer Aufstieg und doch unerreichbar die verborgene Spitze. Noch fehlt uns für die Bergbesteigung allerdings ein Führer, also im nicht-deutschen Sinne. Glücklicherweise stolpern wir am Eingang über Wachmann Rudolf, der sich als erfahrener Guide entpuppt. Zufall möchte man meinen, doch solche Begegnungen haben in Kamerun nichts mit Zufall zu tun. Es ist geplantes Glück. Ich nehme ein paar Schritte Abstand von der Verhandlungszeremonie und nach ungefähr zwanzig Minuten sind sich beide Parteien einig. Übermorgen soll sie losgehen, unsere zweitägige Wanderung auf den Mount Cameroon.

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Der erste Wandertag – auf 2900 Meter Höhe

„Gut ausruhen“, war die Anweisung Rudolfs für heute Nacht. Meine Hotelwahl fiel daher auf eine Bar ohne Gäste, dafür mit lautem Afro-Hardstyle, der mich nachts um drei aus dem Bett hämmert. Da auch die Moskitos die Flucht ergreifen, kann ich immerhin noch drei Stunden dösen, bevor Paul an die noch dunkle Tür klopft. Schnell drehe ich die Glühbirne in die Fassung und öffne die Tür. Paul ist wie immer „cool“ und streift seinen Rucksack in meinem Zimmer ab. Kein unnötiges Gepäck ist unsere Devise und so packen wir noch ein Glas Gewürzgurken und auch nur einen Whisky ein. Man weiß ja nie. Wenig später fahren wir mit dem Taxi durch das blaue Buea, die Sonne ist gerade unbemerkt hinter einer der glatten grauen Häuserwände aufgegangen.

Unser Treffpunkt ist das Denkmal zur 50-jährigen Unabhängigkeit Kameruns am Fuße des Kamerunbergs. Da wir noch vor Rudolf ankommen, schießen wir mit der Erlaubnis eines Soldaten ein paar Fotos. Kurz darauf stürmt ein Mann in Zivil aus dem Militärstützpunkt und hält uns eine Standpauke. Mal redet er davon, dass fotografieren verboten sei, dann wieder, wie viel es kosten würde, schließlich hält er uns für Terroristen. Wir tun gut daran unserer Fassungslosigkeit ob dieser Willkür nicht allzu viel Ausdruck zu verleihen, kennen wir doch die ernsten Hintergründe dieser Paranoia. Der Süd- und Nordwesten Kameruns befinden sich seit Jahrzehnten in einem Konflikt mit der Regierung in Yaoundé. Der Vorwurf ist die Marginalisierung der anglofonen Gesellschaft durch die frankofone Mehrheit des Landes.

Traurigerweise ist der seit Jahrzehnten schwelende Konflikt 2016 eskaliert. Einige Tausend Zivilisten wurden getötet, mehrere Hunderttausend flohen. Die Forderungen der Oppositionellen reichen bis zur Unabhängigkeit. Wenn ihr euch näher zu diesem Konflikt informieren wollt, bietet die Bundeszentrale für politische Bildung eine übersichtliche Zusammenfassung. Es besteht momentan eine Reisewarnung des Auswärtigen Amts und ich bin nur aufgrund von guten Kontakten und Vorerfahrung in das sicherere Buea gereist.

Jetzt, da Rudolf pünktlich angekommen ist, können wir endlich unsere Wanderung beginnen. Rudolf ist wahrscheinlich der einzige Guide in Kamerun, der einem auf die Frage „Ist es noch weit?“ nicht immer mit „Nein, nein, ist ganz nah“ antwortet, sondern ehrlich über den noch bevorstehenden Weg Auskunft gibt. Der ausgebildete Koch ist außerdem im Besitz eines riesigen Wissensschatzes über die Beschaffenheit der Wanderroute, den er gerne mit seinen Mitreisenden teilt. Ich habe unter seinem Foto mal seinen Kontakt verlinkt.

Der erste Kilometer führt uns vorbei an einem „secondary prison“, in dem die Insassen landwirtschaftlicher Arbeit nachgehen und Körbe flechten. Kurze Zeit später stehen wir dann vor den hölzernen Dächern des Regenwaldes, unter denen wir Schutz vor der prallen Sonne finden. Noch befinden wir uns nicht im Nationalpark und so beackern zu unserer Seite emsige Anwohner die ersten Anhöhen nach traditioneller Art der Brandrodung. Es sollten die Letzten sein. Mit jedem der 1900 Höhenmeter, die wir heute zu erklimmen haben, wird die Kultivierung des Bodens immer unpraktikabler.

Nach vielleicht einer Stunde erreichen wir den Eingang des Nationalparks. Ab hier regiert der allmächtige Epasa Moto, ein Vulkangott, halb Mensch, halb Gestein. Riesige Adlerfarne schweben majestätisch über unseren Köpfen und zeigen auf parasitäre Schlingwurzeln, die hoch in den Lüften massive Baumriesen strangulieren. Die blutrot-schwarze Feder eines Turacos segelt vor uns auf den dunklen Grund, still begleitet von einem Orchester Trompetenblumen, das weiß und unschuldig bei diesem Überlebenskampf nur die zweite Geige spielt. „Ein guter Ort für Schlangen“ keucht Paul.

Immer weiter erklimmen wir diesen märchenhaften Hang. Die Pausen werden von Rudolf als Kostproben umfunktioniert. Wir riechen an natürlichen Heilmitteln und zutschen das Wasser aus dem wilden Zuckerrohr. Hier in diesem dicht bewachsenen Abschnitt gibt die Natur noch alles her – wenn man denn weiß, was man braucht. Eine Wasserquelle erkenne sogar ich und wir nutzen die letzte Gelegenheit, unsere Trinkflaschen aufzufüllen.

Nach gefühlt schon einer Tageswanderung kommen wir an der ersten Hütte, der Rezeption des Nationalparks, an. Wir „checken“ ein. Um den Preis zu reduzieren, haben wir Paul als meinen Träger registriert. Sein wesentlich kleinerer Rucksack stößt bei den Wächtern jedoch auf Skepsis, die jedoch schnell zwischen ein paar Schokokeksen und für mich unverständlichen Dialogen in Pidgin ausgemerzt wird.

Kurz darauf ändert sich die Vegetation schlagartig. Wir haben die Baumgrenze erreicht und betreten nun die auf 2000 Höhenmetern gelegene Savanne. Wer wie ich dachte, Savannen wären flach wie in Tierfilmen, der hat sich fatal geirrt. Unser Pfad führt uns im Gegenteil durch stark ansteigende, verbrannte Buschlandschaften. Wären da nicht die diesigen Wolken, deren Höhe wir jetzt erreicht haben, sähe man kilometerweit schwarz verkohlte Hänge. Die Gründe für diesen Zustand schwanken je nach Quelle zwischen illegaler Jagd, kontrolliert durchgeführter Schutzmaßnahmen und sorglos rauchenden Soldaten.

Wir erreichen die Zwischenhütte, die anscheinend so unwichtig ist, dass sie keinen richtigen Namen verdient hat. Dabei beginnt erst hier die „Wand“, der steilste Abschnitt der Wanderung. Er ist zu unserer Freude mit losem, aber scharfkantigem Vulkangeröll belegt. Besser wir legen erstmal eine kleine Essenspause ein. Ich sag euch, diese Gewürzgurken! Ein Träumchen. Und wenn man keine Energie mehr hat, gehts ans Gurkenwasser. Genüsslich kauend erspähe ich einen weiteren Mann den Hang hinaufhasten. Er entpuppt sich als unsere Lebensversicherung: Es ist der Träger unseres heutigen Abendessens. Der Größe seines Rucksacks nach zu urteilen, transportiert er die wöchentliche Nahrung einer Großfamilie. Trotzdem fällt seine Pause wesentlich kürzer aus als die unsere und schon bald sehen wir ihn im Eiltempo im Nebel verschwinden. Ob er wohl in einer Woche beim Mount Cameroon Race dabei sein wird? Jedes Jahr sprinten 500 Wahnsinnige aus aller Welt den Berg innerhalb von fünf Stunden hinauf und hinunter, angetrieben von einem saftigen Preisgeld.

Schließlich erklimmen auch wir den Hang. Paul, Anhänger der geraden Linie, verzichtet dabei auf unnötige Meter, während ich mich an den Kurven nur deshalb nicht schwindelig laufe, weil mein Tempo dafür zu niedrig ist. Der Urwald unter uns verschwindet langsam in den Wolken. Am Ende des schweren Anstiegs – hier wurde die Landschaft von dem Feuer verschont – werden wir mit einem Blick auf unsere heutige Unterkunft belohnt. Schwedisch anmutende Holzhütten und Solarplatten auf den Dächern versetzen mich auf einen Zeltplatz an der mecklenburgischen Seenplatte. Kein Wunder, denn der Nationalpark wird von der KFW, der deutschen Förderbank mitfinanziert. Fehlen nur noch die Windräder.

Wenig später geht die Sonne für uns unsichtbar hinter dem Fako unter und zieht die Kälte hinter sich her. In dicke Klamotten eingemummelt suchen wir Schutz in der Wärme des leeren Gesellschaftsraumes, die sich von der angrenzenden Küche aus nur spärlich über den Raum verteilt. Wir helfen ein wenig nach und entkorken den Whisky. Das Leistungsoptimum zwischen geringerem Gewicht und Katererschöpfung finden wir in der fast vollständigen Leerung der Flasche, denn irgendwas müssen wir trinken. Die Bar hat keinerlei Wasservorräte.

Gegen acht, ein Jeder kehrt in seine Hütte ein, bleibe ich noch ein wenig vor meiner Tür stehen. Es ist stockfinster. Ich hebe meinen Kopf und schaue in die Unendlichkeit der Sterne. Erst jetzt realisiere ich, wie lange ich sie nicht mehr gesehen habe. Ich halte inne, denke im Rhythmus meines Atems und werde mit einem Moment dankbar.

Meine Dankbarkeit endet jedoch abrupt bei dem Gedanken an den morgigen Aufbruch. Wir haben uns demokratisch darauf geeinigt (sprich Rudolf sagte wie wir es machen müssen und wir haben wie kleine Welpen genickt), um 4 Uhr morgens die Segel zu hissen. Wer es auf den Gipfel und dann 3000 Höhenmeter runter schaffen möchte, muss den Tag früh beginnen…

Wohinnoch? ist ein Reiseblog, in dem wir mit ausgiebig Zeit die weniger beachteten Orte dieser Welt besuchen.

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