Wanderung auf den Mount Cameroon – Tag 2: Nachts auf den Gipfel und 3000 Meter ins Tal
Tag 2 von 3. Diese Blogreihe erzählt von meiner Reise in den Südwesten Kameruns, von meiner Wanderung auf den höchsten Berg Westafrikas, den Fako und von dem Tag danach am paradiesischen Vulkanstrand Limbé‘s. Klick hier für Teil 1 und Teil 3.
Aufstieg auf den Gipfel des Kamerunbergs
Es ist noch tiefe Nacht, als wir die Hütte verlassen. Trotz meiner Taschenlampe sehe ich beim Aufstieg nichts außer endloses, schwarzes Geröll. Wichtig ist nur, dass mein nächster Schritt mich nicht in einen dunklen Abgrund wirft. Die Lichter im Tal sind zu schwach, um uns den Weg zu weisen, und die Landschaft flimmert nur kurz im Aufblitzen der Wetterleuchten am Firmament. Man möchte anhalten, die Schönheit der Nacht bewundern, doch der kalte Wind flüstert einem ins Ohr, dass es klüger ist, rücksichtslos weiter zu marschieren.





Paul, mit leichten Turnschuhen und den Gärtnerhandschuhen, die wir noch in Buea gekauft haben, ist wie immer „cool“. Sehr cool sogar. So cool, dass wir in einer tiefen Höhle nach Schutz suchen müssen. Zwar ist die Wanderung nicht mehr ganz so gefährlich wie noch vor hundert Jahren, doch noch immer müssen sich einige auf diesen Höhen übergeben, andere verirren sich und erfrieren. Wir gehen also kein Risiko ein und machen hier eine Pause. In wenigen Minuten schon kratzt die Sonne am Horizont und zum ersten Mal bin ich froh darüber, dass sie in der Nähe des Äquators nur wenige Minuten braucht, um unsere Körper zu erwärmen. „Noch ist es weit“, dämpft Rudolf unsere Freude. Ich leihe Paul also meine Bomberjacke, die ihn zusammen mit den über die Handschuhe gestülpten Socken modetechnisch an die Spitze unseres Trios befördert.

Wir wagen uns mit dem ersten Orangeton aus unserem Versteck und erkennen langsam die veränderte, buschige Vegetation. Zum Sonnenaufgang legen wir uns auf das harte Gras. Wir schauen in die Tiefe. Als ob Buea etwas zu verbergen hätte, ziehen sich die Wolken über dem Tal zu und wir sind wieder allein, der Blick nur nach oben gerichtet. Der Gipfel ist zwar noch nicht in Sicht, doch mittlerweile laufen wir, getragen von Bob Marley a cappella Gesängen über flaches Terrain zu der dritten und letzten abgewrackten Baude vor dem Gipfel.





Das Wetter ist auf unserer Seite. Der Wind hat deutlich nachgelassen und wir kommen in den Genuss der Berglandschaft. Eine giftig gelb leuchtende Pilzschicht bedeckt den hostilen Boden, pastellgrüne Gräser spielen leblos im Wind. Es sind die trockenen Kinder des Vulkangesteins, lange nach dem Nalowa, die Meeresgöttin, den Vulkangott Epasa Moto verlassen hat. Nur ein paar Blumen, violette Vernonien und gelben Strohblumen, verzieren die Mondlandschaft, doch zerfallen sie bei der ersten Berührung zu Staub. Wir sind in einer anderen Welt.




Endlich kommt der Gipfel zum Vorschein. Welcher der Höchste ist, ist dabei gar nicht so leicht zu sagen. Vor hundert Jahren bestiegen Gustav Mann und Sir Richard Burton – als erste Europäer – wahrscheinlich einen benachbarten Gipfel, der durch vulkanische Aktivitäten nun von einem anderen als höchster Punkt abgelöst wurde. Für solche Fakten unempfänglich kraxeln wir die letzten Meter nach oben. Als wir das Schild mit der Aufschrift „Summit“ emporstrecken, fließt wie aus Zauberhand all die verloren geglaubte Energie in unsere Körper zurück. Und dann ist da noch die Aussicht. Das Hochplateau, eingerahmt in eine ferne Wolkendecke, bietet ein so fantastisches Panorama, dass wir den kalten Wind für einen Augenblick vergessen. Wir haben es geschafft!





Der Abstieg: 3000 Höhenmeter in die tiefe Realität
Bevor wir den Rückweg antreten, machen wir noch einen kleinen Abstecher zum Vulkankrater, der, obwohl sein letzter Ausbruch 23 Jahre her ist, immer noch bedrohlich dampft. „Könnte der jederzeit wieder ausbrechen?“, frage ich Rudolf. „Ja, aber keine Sorge, ein Ausbruch wird normalerweise mit einem Erdbeben angekündigt.“ Als ob meine Beine nicht schon genug klapperten.



Der Abstieg ist über mehrere Seiten möglich. Der Westweg führt einen sogar womöglich vorbei an Elefanten, Affen und Antilopen, doch fehlen uns dafür die nötige Zeit und das Geld. So geht es also an diesem fortgeschrittenen Morgen auf gleichem Wege 3000 Höhenmeter südöstlich bergab. Die beiden Herren laufen mir voraus und pflücken eifrig Bergblumen für ihre Liebhaber, sodass ich sie irgendwann als laufende Bouquets wahrnehme. Entweder jemand bekommt heute Abend einen riesigen Blumenstrauß, oder wir haben es hier mit Polygamie zu tun. Ich beschränke mich auf das Sammeln von rostroten Steinen.


„Hier lag mal einer. Erfroren.“, teilt uns Rudolf glücklicherweise erst jetzt auf dem Rückweg mit und verdeutlicht vielleicht unsere Erleichterung, als wir kurz vor um zwölf die von den Solarplatten glänzenden Dächer der Unterkunft am Horizont ausmachen können. Hier stärken wir uns mit einem Spaghetti-Omelette für den weiteren Abstieg und schau her, da sind ja noch die Gewürzgurken von gestern!



Nachdem mir Rudolf einen Stock besorgte, schreiten wir recht problemlos die steile Wand herunter. Vor allem Paul, gerade noch Invalide, scheint das Pausenbier auf der Alm gutgetan zu haben. Irgendwann taucht der Regenwald in der Ferne auf und ich fühle mich fast schon zu Hause. Doch leider habe ich vergessen, wie weit der Weg jetzt noch ist. Zwar ist man beim Abstieg nicht gezwungen, aus Erschöpfung anzuhalten, doch merkt man – im besten Fall – irgendwann seine Füße nicht mehr. Im schlimmsten und aktuellen Fall sind sie noch nicht abgestorben und luftballonartige Blasen machen einem den Trip zur Hölle.



Immerhin können wir jetzt wieder auf die Natur als Energiequelle zurückgreifen. Wir naschen die bereits nachgewachsenen Himbeeren und Physalen und füllen unsere Wasserflaschen nach. An der Check-In Hütte angelangt, geben uns die zwei Wächter eine Botschaft für ihre Frauen mit. Ohne Internetanschluss führen die beiden wirklich ein ödes Einsiedler Dasein.
Wir füllen noch einmal unsere mittlerweile leeren Flaschen auf und beginnen den letzten Abschnitt der Reise. So weit bis nach Buea kann es gar nicht gewesen sein, denke ich, als wir noch nicht einmal den Eingangsbogen des Nationalparks erreicht haben. Es geht runter, runter und runter. Ein paar Sportler, die das Rennen für das Wochenende vorbereiten, kommen uns entgegen. Ihrem Schweiß nach zu urteilen ist es noch ein weiter Weg.



Ich fühle mich in einer Trance, fast als würde mein Körper mir eine Betrunkenheit vortäuschen, um mich den Schmerz nicht spüren zu lassen. In einer Soundaufnahme unterbreche ich meinen Monolog und rufe „Blumen! Ich interessiere mich nicht für Blumen!“ Irgendwann, nach langen mentalen Qualen, erreichen wir dann endlich eine Wiese, auf deren linken Seite in der Abenddämmerung Buea liegt. Rechts sehen wir wieder den seichten Aufstieg des Fakos. Von wegen! Vor wenigen Stunden tapsten wir noch im Dunkeln, froren in der Kälte, standen auf dem höchsten Punkt Westkameruns und kein einziger menschengemachter Ton war zu hören. Und jetzt? Wir stehen an der Straße und warten auf ein Taxi. Sind zu erschöpft für eine Zeremonie. Die Wanderung ist vorbei. Wir sind in die Realität zurückgekehrt.

Die letzten Meter nach den letzten Metern
Stau. Fast eine Stunde hupen wir uns durch diese Kleinstadt, im Taxi prahlt ein junger Mann von seinen Kontakten. Unser übel riechender Schweiß genügt als Antwort auf die wiederkehrende Zivilisation. Endlich werde ich im Hotel gleichgültig empfangen. „Kamerun – hier wird man immerhin noch unfreundlich bedient“ war anscheinend das Leitmotiv dieses Angestellten. Ich erhalte widerwillig, weil ich kein teures Zimmer genommen habe, meine Schlüssel und schleppe mich ins Zimmer. Ich weiß zwar nicht, wie das architektonisch möglich sein soll, aber ich muss auf diesem Weg vier Treppen hoch und drei runter laufen. Genau das, was meine Beine jetzt noch brauchen. Ich vergesse glatt, mich zu dehnen, esse noch ein paar Maniokstangen und schlafe mit pulsierenden Beinen ein.


One Comment
kklike
Es geht doch nichts über Blasenpflaster und Wärmepads als Grundausstattung 😉