Kamerun

Gorillas und der Drang nach Schlaf

Nach zwei Stunden Schlaf saß ich im Taxi und aus dem blechernen Autoradio donnerte mir Whitney Houston ein ganzes Album lang ihre Beziehungsprobleme ins Ohr. Ich richtete meinen Blick auf den leidenschaftlich mitsingenden Fahrer und machte nicht nur das sich im Rückraum des Vehikels ansammelnde Kohlenmonoxid für meine Kopfschmerzen verantwortlich. Es war das Wochenende, an dem ganz Kamerun muslimisch wird und sich den Mond herbeisehnt. Schließlich würde das einen weiteren nationalen Feiertag herbeiführen und damit das Wochenende auf vier Tage verlängern. Und als es dann endlich so weit war, wurde am Montagabend wie an einer deutschen Grundschule der Unterrichtsausfall verkündet: In jedem WhatsApp Status erschien das herbeigesehnte Dekret des Präsidenten Paul Biya.

Als ich in Kamerun ankam, nahm ich den innerstädtischen Verkehr, trotz des Mangels an Kinderspielzonen, als für afrikanische Verhältnisse ruhig wahr. Jetzt, wo die Schulferien vorbei sind und ich auf dem Weg ins Naturreservat Méfu unterwegs war, wurde ich eines Besseren belehrt: Auf jeden bisher zurückgelegten Weg musste man seit letztem Montag mindestens 50% draufschlagen. Während man sich innerorts durch vollgestopfte und mit Schlaglöchern übersäten Straßen quält, gelangt man irgendwann auf die in beide Richtungen dreispurige und kaum befahrene Autobahn in Richtung Flughafen. Ein Schurke, wer Böses dabei denkt.

Ob mich die Chance seltene Menschenaffenarten von Nahem zu sehen, oder mein Wunsch nach einer Auszeit vom innerstädtischen Lärm nach Méfu zog, ist gar nicht so wichtig. Es handelt sich hierbei um ein von einem Israeli gegründeten und von Briten und Kamerunern verwalteten Nationalpark in dem Waisenaffen, deren Eltern von Jägern getötet wurden, ein zweites zuhause finden. Sie werden dabei so gehalten , dass der typische europäische Tourist am Ende der Tour guten Gewissens ein Basecap des Parks kaufen kann.

Unser Guide begleitete uns durch den von Erdpisten und Trampelpfaden durchkreuzten Wald. Immer wieder lehnte sich eine Bananenstaude samt herabbaumelnder Blüte über uns in die Diagonale. Natürlich wachsen auch hier riesige Bäume, nach deren Holz sich ganz Asien und Europa sehnen, sowie Früchte, die die dortigen Konsumenten so nie zu Geschmack bekommen werden. Dazwischen, ohne eine Garantie auf Sichterfolg, liegen die weitläufigen Habitate der Affen.

Die uns dargebotene Vorstellung ist überwältigend, dabei passiert gar nicht so viel, wenn ich der Erzählung einer Kollegin Glauben schenke, dass die Gorillas bei ihrem Besuch die Pfleger mit Fäkalien bewarfen. Es muss mein tadellos staatsmännisches Auftreten gewesen sein, welches die grauen Riesen in meiner Anwesenheit disziplinierte. Der Anführer Bobo jedenfalls, mit breiteren Unter- als Oberarmen (who can relate?), unterhielt uns schon genug mit seinem Sprint auf zwei Beinen. Und dann war da ja noch sein knackiger Hintern, den er uns in Posermanier präsentierte.

Wir sahen einige weitere Kleinaffenarten mit Bartformen, die ich bis dato erst in Berlin Friedrichshain gesehen hatte. Die Führung dauerte knappe zwei Stunden und führte uns leider nicht an den ebenfalls schützenswerten Gürteltieren vorbei. Auf unserem Rückweg, waren wir noch von einem Künstler in sein Dorf eingeladen worden, welches direkt an die große Straße grenzte. Hier war man etwas skeptischer über das gut gemeinte Projekt, denn leider wurden die Gemeinschaften, die die Fläche nutzten, auf dem heute der Park steht, weder für den Landverlust entschädigt noch in das Projekt involviert.

Nach dem Essen, es gab Ananas, Mango, Avocados, Bananen und Maniok (kartoffelartig), wurden uns noch die Trommelwerkstatt gezeigt und ich durfte auf den Tam Tams, die man über acht Kilometer weit hören kann und bis heute als Signalinstrument eingesetzt werden meine bescheidenen 4/4 Takt Rhythmen zum Besten geben. Unser Gastgeber musste sich wahrscheinlich ein Gähnen ob meiner rhythmischen Einfältigkeit verkneifen. Wir stiegen in unser Taxi, übrigens mit Plakette vom Autohaus Michael in Schwerin und begrüßten Whitney zum zweiten Akt.

Was gab es sonst noch? Da ich in diesem Blog nicht viel über meine Praktikumsarbeit schreibe, ist es ein bisschen kompliziert, viel über meinen mehrtägigen Aufenthalt in Bertoua, der Provinzhauptstadt des Ostens zu sagen, denn ich tat vor allem eines: Arbeiten. Viel gesehen von der Stadt mit etwa 200.000 Einwohnern habe ich also leider nicht, jedoch gibt es auch gar nicht so viel zu sehen, wenn man damit irgendwelche herausstechenden Monumente oder Naturwunder meint.

Was mir in Erinnerung geblieben ist, ist der Real Madrid Fan im Outdoor-Restaurant auf dem Plastikstuhl neben uns, der beim in der Nachspielzeit erzielten 2:1 gegen Manchester City vor Freude vom Stuhl sprang und mit wedelnden Armen durch den Raum bis auf die Straße rann, von wo man nur noch seine Jubelrufe vernahm.

Und dann war da noch die Belohnung nach der Woche harter Arbeit für meine Chefin und mich: Ausgehen am Freitagabend. Bisher nahm ich die Stimmung in den Bars und Clubs Kameruns immer als sehr ausgelassen war. Die Musik ist stimmungsmaessig durchweg positiv, denn sie fungiert hier als Abwechslung für den oft harten Alltag. Jeder tanzt mit jedem, die Leute haben Spaß und einzig die Ohren gehen als eindeutige Verlierer nach Hause.

Dieses Mal war es jedoch etwas anders: Auf einem der in der Bar hängenden Fernseher lief ein Horrorfilm und leider verbrachten einige Personen die meiste Zeit vor dem Handy, anstatt sich zu unterhalten. Und wogegen ich leider allergisch bin, ist wenn Leute offensichtlich keinen Spaß haben, aber dann ihre Handy’s zücken, fix ein Video machen, indem sie tanzend vorgeben die krasseste Nacht überhaupt zu erleben, nur um kurz darauf mit neutraler Miene das Video an alle Kontakte zu schicken und sich wieder gelangweilt in die Ecke zurückzuziehen.

Ich fragte mich, was den Abend noch retten konnte, und sah kurz darauf, wie zwei Typen sich wegen einer Dame prügelten. Eine Keilerei, die schnell zur Massenkarambolage ausartete und sich immer näher in unsere Richtung bewegte. Wir griffen schnell unsere Gläser, suchten uns eine andere Ecke und kurz darauf ging die Feier weiter. Leider verpasste es der DJ während des Gefechts Benny Hill Musik aufzulegen. Nachts ging es dann auf dem Motorradtaxi ins Hotel, nicht ohne noch kurz an der Tankstelle Halt zu machen, um Scheine in Münzen umzutauschen, damit der Taxifahrer angemessen bezahlt werden konnte.

Es war Samstag, mein Schlaf war kurz und ich wollte einfach nur nach Hause. Wir arbeiteten nochmal kurz in der Frühe und machten uns dann auf den Weg. Immer wieder legten wir Stopps ein, kauften Ananas oder Kochbananen, die als ganze Äste aufs Dach geladen wurden, oder gabelten eine auf dem Weg liegende Kollegin, die an Malaria erkrankt war auf, um sie mit in die Hauptstadt zu nehmen. Das klingt gerade alles gar nicht verkehrt, aber ich war einfach so müde und meine soziale Batterie so leer, dass ich mit niemandem mehr reden wollte und von jedem Halt total genervt war – selbst wenn es um unser Mittagsessen ging. Nicht mal meine „Ganz heiße Eisen“ Playlist konnte mich wieder beseelen. Einfach nur allein sein und schlafen, das war es, was ich wollte.

Einige Stunden später als geplant kam ich dann endlich zuhause an. Das Wochenende verbrachte ich hauptsächlich mit Ausruhen in etwas reduziertem sozialen Umfeld. Immerhin brachte ich es noch fertig am Sonntag zu einem Schneider zu fahren, der meine Masse abnahm, um mir innerhalb von einer Woche einen Anzug für eine Hochzeit in Douala anzufertigen.

Ein Monat in Kamerun ist vorbei und er ist viel zu schnell vergangen. Manche Sachen werden es leider nie in den Blog schaffen, da sie dramaturgisch leider in keinen Text passen. Ich will einigen dieser Objekte und Personen dennoch die Gelegenheit geben, von der weiten Welt gesehen zu werden:

  1. Das Spaghetti-Omelette Sandwich. Hierbei handelt es sich um ein klassisches Studentenessen für knapp einen Euro in dem gebrochene Spaghetti zusammen mit einem lecker gewürzten Omelette in ein gespaltenes Baguette gefüllt werden. Davon schrumpft garantiert nicht der Bizeps!
  2. Mammy Rachel! Meine Heldin zum Mittag. Jeden Arbeitstag fürht mein Weg mich runter zu Mammy, die mir immer ein Omelette mit Avocadosalat zubereitet. Eier sind nach zwölf oft alle, also lohnt es sich früh vorbeizuschauen. Mammy rockt den Laden ganz allein: Kocht, wäscht ab, kassiert und besorgt neue Zutaten bei Engpässen.
  3. Small Talk. Egal ob an den Holzbänken bei Mammy Rachel, im Sammeltaxi oder ganz klassisch auf dem Markt. Die Ökonomie Kameruns ist wenig individualisiert. Will heißen: Keine Lieferservices, kaum haargenaueTermine oder sonstige Konformitäten die den sozialen Austausch auf ein Minimum reduzieren. Die Bürger kommen so ständig miteinander in Kontakt und aus dem Nichts entstehen etliche zwanglose Gespräche.

André, 09.05.2022

Wohinnoch? ist ein Reiseblog, in dem wir mit ausgiebig Zeit die weniger beachteten Orte dieser Welt besuchen.

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