Die Glückszahl meines Taxifahrers
Schon ein merkwürdiger Geruch, dem die Kameruner jeden Tag ausgesetzt sind, wenn sie allmorgendlich an mir vorbeilaufen: Eine Mischung aus Schweiß, Sonnencreme, Mückenspray und schließlich Parfüm, um im Büro souverän zu wirken. Doch der Austausch von kuriosen Eindrücken ist beidseitig, denn auch ich wurde innerhalb der letzten Woche mit merkwürdigen und eindrucksvollen Dingen konfrontiert, von denen ich euch in diesem Blogeintrag berichten möchte. Fangen wir am besten mit dem ersten Punkt auf meiner eben genannten Odeur-Liste an: Schweiß.
Die Menschen in Kamerun sind wahnsinnig sportlich. Während die Muskeln der jungen Männer wie Bögen gespannt sind, sieht man die Damen nicht selten in kurviger „S“-Form ihres Weges stolzieren. So kommt es, dass meine Motivation, einen neuen Sport auszuüben, den kritischen Punkt überschritten hat, der mich vom gemütlichen Platz in der Hängematte auf den Tennisplatz zieht. Ich habe zwar erst einmal in meinem Leben Tennis gespielt (und dabei den Ball aus Wut über den Zaun ins griechisch-pieksige Dornengebüsch gedonnert), doch die Umstände standen gut: Mein kamerunischer Kommilitone aus Berlin ist Tennislehrer und hat mir direkt einmal seinen alten Trainingsfreund als persönlichen Trainer empfohlen. Dazu kommt, dass Daria, die ich in der kamerunischen Botschaft in Berlin kennengelernt habe, ebenfalls jahrelang Tennis im Verein gespielt hat. Das Orakel hatte also gesprochen.



Wir trafen unseren Coach Paul an der öffentlichen Ingenieursschule Elig Effa. Da dort schon alle Plätze belegt waren, zogen wir weiter zum riesigen Campus der medizinischen Fakultät der Uni Yaoundé. Von seit langem unsanierten Studentenwohnheimen umgeben, reihte sich ein Sportplatz an den anderen: Basketball, Tennis und natürlich der Sport, der alle in diesem Land verrückt macht: Fußball. Dazu gab es Yoga- und Tanzgruppen, die in Hallen und auf Wiesen den Studenten Ausgleich zur mentalen Anstrengung in der Uni boten. Zum Tennis kann ich gar nicht viel sagen, außer, dass ich riesig Spaß mit einem fabelhaften Lehrer hatte, der mir nicht mal böse war, als ich wieder einen Ball ins Nirwana schoss. Auf dem Weg hinaus passierten wir mit unzähligen Studenten das Eingangstor der Uni und begaben uns wieder ins Getümmel der Stadt, auf der Suche nach einem adäquatem Taxi: Dem Thema des heutigen Blogeintrags.
Taxifahrten in Kamerun sind was ganz Besonderes, denn obwohl jede im Prinzip gleich abläuft, sind sie doch alle verschieden. Sollte man noch nicht von den Adleraugen eines Taxifahrers ins Visier genommen worden sein, bevor man überhaupt nach ihnen suchte, stellt man sich ganz einfach an den Straßenrand und stellt Blickkontakt mit den ausschließlich männlichen Chauffeuren her. Nun hat man die Wahl: Sammeltaxi oder Taxi Depot (privat). Der Unterschied ist selbstverständlich der Preis, Zeitaufwand und der Komfort. Anders als in anderen Ländern schlägt der Kunde den Preis vor. Als Weißer habe ich zu akzeptieren, dass für mich etwas höhere Preise gelten. Das habe ich schmerzlich erfahren, als ich einem Fahrer den von einer einheimischen Kollegin geschätzten Preis für die Fahrt nannte: 200 XAF (35ct). Er lachte nur und fuhr weiter. Letztendlich zahlte ich 1500 XAF (2,50€).

Konnten sich beide Vertragspartner auf einen Preis einigen, wird noch schnell der Vertrag aufgesetzt und an die zentrale Taxibehörde gesendet. Nach bestenfalls zwei Stunden, wenn der Regionalchef des kamerunischen Taxiverbandes sich bequemt hat, den Vertrag zurückzusenden…ok, man steigt einfach ein und ab geht die Fahrt. Meistens unterhält man sich nett und führt Smalltalk über die Stadt, das Wetter oder Fußball. Oder aber, es passiert Folgendes:
Ich steige ins Taxi ein und setze mich auf den Beifahrersitz. Mein Gemütszustand lässt sich als „vergnü-ärgert“ beschreiben. Eigentlich sollte ich heute meinen Einstufungstest für den anstehenden Französischkurz absolvieren, doch leider verstand ich die Uhrzeit falsch und kam zwei Stunden zu spät (quinze statt cinque). Ist das nicht Beweis genug für meine Sprachkenntnisse? Wozu noch der Test? So sitze ich also, halb amüsiert, halb garstig im Taxi, auf die Fensterscheiben fällt der Nachmittagsregen und mir ist ausnahmsweise mal nicht nach Smalltalk mit dem Fahrer. Wir fahren stillschweigend und doch umgeben von dem Stadtlärm durch die Innenstadt. Urplötzlich schreckt mein Chauffeur auf und ruft: „Lass mich dir eine persönliche Geschichte über Yaoundé erzählen!“ Super, denke ich, warum denn auch nicht, und schwupps greift seine Hand knapp vorbei an meinem Schritt ins Handschuhfach. Der Fahrer, den ich der Einfachheit halber Atem nenne (hier gibt es so viele Männer mit dem Vornamen Atem, dass einem nie die Luft ausgeht), holt einen schon oft gefalteten Zettel aus dem Fach und legt ihn auf sein Lenkrad.
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Mit purer Lebensfreude, die mitunter an Fanatismus grenzt, schwadroniert Atem von seiner Lieblingszahl, der neun. Kann es denn Zufall sein, dass die Quersumme aus seinem Geburtsdatum und dem Tag, an dem er seinen Führerschein gemacht hat ausgerechnet 9 ist? „Moment“, denke ich, „hier gibts Führerscheine?“ „Und warum bilden alle Vielfachen von 9 als Quersumme 9?“, fährt Atem fort. „Nicht schlecht“, entgegne ich ihm und richte meinen Blick auf die Straße vor mir, in der Hoffnung, er würde es mir gleich tun. Doch seine Konzentration richtet sich jetzt auf den umkreisten Stern, der ihm in all seiner Spiritualität die nötige Kraft fürs Leben gibt. Ich gehe vollkommen begeistert voll auf ihn ein, doch nicht ohne meine Grundwerte zu verraten. „Meine Lieblingszahl ist die 7“, pariere ich. „Auch nicht übel“, meint er mit einem närrischen Grinsen im Gesicht. Sowieso sind ungerade Zahlen der ziemliche Hammer. Ich bitte Atem aus reiner Vorsicht mich etwas weiter entfernt von meiner Haustür abzusetzen.
Doch es gibt auch die andere Sorte von Taxifahrern, wie zum Beispiel den Chauffeur meiner Vermieterin: Mr. Dickson. Mr. Dickson, aus dem anglophonen Südwesten des Landes, ist der Mr. Diplomat der Stadt – ein lebensfroher, humorvoller Mann mit einem Computer im Kopf, der seine Operationen schneller ausführt, als seine Sprachausgabe diese wiedergeben kann. Raus kommt eine Maschinengewehrladung an Anekdoten, ohne jedoch jemals die Geschäftsgeheimnisse seiner noblen Kundschaft, darunter Diplomaten, Stadträte und Abgeordnete preiszugeben. Termine vergisst sein fittes Gehirn nie, eher beendet er meine eigene Sätze so wie ich sie, ohne es schon gewusst zu haben, beenden wollte.
Heute, es ist Samstag, fährt er Daria und mich an den Nyong Fluss nach Ebogo – ein typisches Ausflugsziel für westliche, sowie wohlhabende, einheimische Touristen. Die Asphaltstraße in den Süden führt einen vorbei an der lokalen Bierbrauerei, an Trommelmanufakturen und wie immer: an Obsthändlern, die, aus reinem Vertrauen auf das Gute im Menschen, die Waren unbeaufsichtigt lassen. Wenige Kilometer, bevor man im besinnlichen Ebogo ankommt, biegt die Straße auf eine Erdpiste ab, von der aus man links wie rechts die kleinen Siedlungen einzelner Familien ausmachen kann. Gebaut wird mit Holz und Lehm, das Einzige aus Stein sind die Gräber. Ein Zeichen für die besondere Bedeutung des Todes in Kamerun, ein Thema für einen späteren Blogeintrag.
Am Camp angekommen, machen wir das, was alle Besucher hier machen: Erst einmal die großartige Aussicht auf das ruhige, von Wald umgebene Flusstal, welches sich da vor uns entlangschlängelt, genießen. Wir setzen uns zusammen mit unserem Guide namens Jean Jacques Matheus (oder so) in eine Piroge, einen nicht-motorisierten Einbaum. Das Schöne an dem Camp ist, dass es so im Einklang mit der Natur geführt wird, dass man nicht weit rausfahren muss, um der Schönheit der Natur ins Auge zu Blicken.




Nur wenige Paddelschläge vom Ufer entfernt sehen wir Geier auf knorrigen Regenwaldästen sitzen und Milane am Himmel kreisen. Hin und wieder schnappt etwas zu unserer Seite durch die Wasseroberfläche, doch bevor unsere Augen erkennen, was es ist, ist es schon verschwunden.



Langsam fahren wir an Seerosen vorbei, die wie kleine Busstationen für die bunten Schmetterlinge und Libellen wirken. Als Anhalter fahren sie kurz mit, um bei der nächsten Seerose wieder auszusteigen. Mitunter haben es sich die kleinen Passagiere aber auch für eine Langstrecke gemütlich gemacht.

Wir hören die Bienen brummen, die an den Bäumen ihren leckeren Honig produzieren und steigen am nächsten Steg aus. Hier müssen wir zu Fuß weiter, denn nur in der großen Regenzeit, wenn das Wasser sieben Meter höher steht als heute, ist unser erstes Ausflugsziel mit Boot erreichbar.




Nicht, dass die Ebenholzbäume neben uns schon spektakulär genug wären, doch ein über 500 Jahre alter Baumriese mit einem Durchmesser von 12 Metern und 88 Meter Höhe entpuppt sich als unumstrittener König des Waldes. Wie kleine Insekten krabbeln wir an seinem Fuße umher und bewundern die eigene Welt, die der Gigant beherbergt: Kleintiere aller Art tummeln sich an der Rinde, in Löchern und Höhlen. In der Krone haben es sich aller Art von Vögeln gemütlich gemacht. Ohne, dass uns das groß überraschen würde, erzählt uns unser Guide, dass dieser Baum seit jeher Stätte für spirituelle Kulte ist. Ich hoffe, hier nicht meinen Taxifahrer Atem wiederzutreffen.



Wir setzen uns wieder in die Nussschale und gleiten bis ins nächste Fischerdorf, wo Matheus uns die örtlichen Anbaugebiete der Bauern/Fischer zeigt. Erst vor Kurzem wurde ein Stück Wald abgebrannt, um auf dem daraus entstehenden fruchtbaren Boden Obst und Gemüse aller Art anzubauen: Erdnüsse, Ananas, Kartoffeln, Maniok,….




Die saftigen Buschwege, auf denen wir laufen sind gesäumt von prallen Mango-, Pflaumen- und Avocadobäumen, Bananenstauden und Palmen. Immer mal taucht eine ärmliche Hütte inmitten der reichen Pflanzenwelt auf, doch bis auf die Hauskatze sind gerade alle Bewohner zum Fischen ausgeschwärmt.




Auf dem Rückweg genießen wir noch etwas die herrliche Stille, die uns auch noch umgibt, wenn wir von der Restaurantterasse auf eben befahrene Flusstal schauen. Wobei, ganz so still ist es nicht mehr, denn Mr. Dickson gibt einige seiner Anekdoten zum Besten: Er erzählt von der immer verspäteten italienischen Kundin, die ihm nach seinen Beschwerden immer „Bastard!“ genannt hat. Professionell wie Mr. Dickson ist, hat er die Beleidigungen wortlos hingenommen. Irgendwann, als er die Geschichte meiner Vermieterin erzählte, klärte sie ihn auf: „Basta!“ und nicht „Bastard“.
Dann erzählt er mit Schnappatmung, wie er gestern in der Stadt in ein Loch gefallen sei, nur um kurz danach zu seiner Paradedisziplin auszuholen: Seine Beschreibung der „Jorré Jorré“, alte Männer, die sich ihr Alter nicht eingestehen wollen und sich daher die weißen Haare schwarz färben, die Hosen hochkrempeln, ein weißes Hemd mit Goldkette anziehen und mit Basecap auf dem Kopf und dem Ellenbogen aus dem Autofenster hippe Musik hören. Gibt es dafür ein deutsches Synonym?



Anhand der Sonne erkannte Mr. Dickson, dass der Regen nicht mehr lange auf sich warten lassen sollte, und so kehrten wir nach Hause zurück.




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