Kamerun

Mein Weihnachten und Silvester in den Tropen

Der Rummel, den mein Blick jeden Abend kurz vor dem Schlafen gehen streifte, machte mir schmerzlich klar, dass mein Leben im Dezember etwas limitiert war. Meine Masterarbeit stellte sowohl Weihnachten, Silvester, die Weltmeisterschaft als auch den Jahrmarkt „Yafe“ in den Schatten. Jetzt, da der ganze Stress endlich vorbei ist, kann ich euch immerhin aus nüchterner Distanz von den vier großen Events dieses letzten Monats im Jahr 2022 berichten. Heute kümmere ich mich um die ersten beiden: Weihnachten und Silvester.

Fangen wir mit dem Weihnachtsfest an, welches in Kamerun ganz anders als in Deutschland gefeiert wird. Als allererstes ist mir sehr schnell aufgefallen, dass ich kein einziges Mal einen Raum verlassen musste, weil zufälligerweise gerade Last Christmas aus den Boxen dröhnte. Im Gegenteil: Niemand hier kennt dieses Lied. Punkt für Kamerun. Dann sind die klimatischen Bedingungen natürlich komplett verschieden. Das Kälteste, dem man ausgesetzt ist, ist der eigene Schweiß, der außerdem ein wunderbares Klebemittel für den feinen Staub ist, den selbst die Bewohner des asphaltierten Viertels Bastos in der Trockenzeit in ihre Wohnungen tragen. Bei abendlichen Ausflügen hat man manchmal sogar das Problem, den Gegenverkehr nicht richtig zu erkennen, so stark funkeln die Partikel im tief stehenden Sonnenlicht.

Um sich in eine gemütliche Winterstimmung zu versetzen, bräuchte man daher eigentlich eine „Anti-Skibrille“, die die roten Staubwolken in weiße Winterlandschaften verwandelt. Da Berlin mit seinen von braunem Matsch verklebten Bordsteinkanten jedoch auch nicht mehr Winterstimmung ausstrahlt, habe ich wenig vermisst. Was mir aber eindeutig fehlte, war diese gemütliche Adventsstimmung, während der es gesellschaftlich akzeptiert ist, sich mit einer Decke, Lebkuchen und Kerzenlicht zu Hause mit seinen Liebsten zu isolieren. Doch diese Annehmlichkeiten von Glühwein und Fondue zu Weihnachtspyramiden und Rolf Zuckowski waren alles Fehlanzeige. Das Weihnachtsfest, abgesehen von lustigen Mützen und Lichterketten ist hier ein Fest wie jedes andere. Es wird gebetet, getrunken und vor allem getanzt – wie sonst auch immer, nur vielleicht in einem familiäreren Rahmen.

Den schönsten diesjährigen Weihnachtsmoment musste ich mir daher woanders suchen. Ich fand ihn im gemeinschaftlichen Weihnachtsessen der Organisation Sant’Egidio (die 68er der Kirche), zu dem all die alten und kranken Menschen eingeladen wurden, die die Freiwilligen der Organisation regelmäßig an Sonntagen besuchen.

In einem gemieteten Seminarraum einer katholischen Universität bauten wir ein riesiges Buffet mit traditioneller kamerunischer Kost auf – also zum Beispiel Ndolé, ein Blattgemüseeintopf mit Fisch oder Fleisch und Kochbananen oder Sanga (Mais mit Blattgemüse) – welche die Frauen der Organisation in einer Nachtschicht zubereitet hatten. Die Männer, hauptsächlich Philosophiestudenten, bekamen die Aufgabe, die Luftballons aufzupusten. Da ich weder gut kochen noch Grundsatzdebatten über afrikanische Philosophie in den Einatemphasen des Aufblasens führen kann, bestand mein Beitrag darin, zwei Wochen vorher Porträts von unseren Freunden zu schießen und diese dann auf Holz abzudrucken.

Nachdem alle Gäste eingetroffen waren, das Dankgebet gesprochen (das ist der Moment, bei dem ich kurz mal die Augen schließen und etwas dösen kann) und das Buffet eröffnet wurde, konnten endlich die Geschenktüten überreicht werden. Am meisten berührt hat mich dabei die Reaktion von Papa Christoph, der noch vor zwei Wochen dem Sterben nahe lag. Er, der ehemalige Zweitliga-Fußballer, ließ sich zwar noch nie groß von Diagnosen einschüchtern, doch diesmal schienen auch seine Kräfte der Zeit ihren Tribut zu zollen. Ihn damals für das Foto zu einem Lächeln zu überreden war schwierig genug.

Am 25. Dezember staunten wir dann nicht schlecht, als wir ihn von seinem Sohn auf der einen und von seinem Gehstock auf der anderen Seite gestützt und festlich gekleidet unseren Saal betreten sahen. Als er dann das Porträt von sich und seiner Frau in den Händen hielt, wollte er überhaupt nicht mehr aufhören zu grinsen. Mit beiden Händen winkte er jedem zu, der zufälligerweise an seinem Tisch vorbeikam. Irgendwann fing er sogar an zu tanzen. „Die Krankheit“, so rief seine Frau in diesem Moment aus, war „vorüber“.

Für mich war es aufgrund solcher Geschichten schön, Weihnachten in Kamerun zu verbringen. Trotzdem würde ich beim nächsten Mal wahrscheinlich nach Deutschland zurückkehren. Weihnachten ist für mich einfach ein Fest, welches man am liebsten mit der eigenen Familie verbringt.

Im Gegensatz dazu bin ich jedoch über jedes Silvester heilfroh, welches ich nicht im angeblichen Nachkriegs-Berlin verbringen muss. Zuzusehen, wie teures Plastikspielzeug mit menschlicher Hilfe in hässlichen Stadtmüll verwandelt wird, war noch nie meine Lieblingsbeschäftigung. Umso glücklicher war ich also, den Jahreswechsel auf einer Hochzeit zu verbringen. Dass ich das Hochzeitspaar dabei persönlich nicht kannte, war nicht so wichtig. Ich glaube, sie wussten sogar nicht einmal, dass ich eingeladen war, geschweige denn, wer ich überhaupt bin. Und auch ich war mir da im Verlaufe des Abends nicht immer so sicher. In dem mit weißen Vorhängen geschmückten Saal reihte sich ein Rundtisch an den nächsten, auf denen jeweils riesiger Blumenstrauß und allerlei Spirituosen standen. Am Ende des Saals saßen mittig die Eltern des Hochzeitspaares wie eine wohlwollende Jury, die zwar die Macht, aber nicht das geringste Interesse hatten, diesem Fest ein Ende zu bereiten.

Wie schon bei der Hochzeit meiner damaligen Mitbewohnerin Maude in Douala war diese wieder in drei Akte geteilt: Standesamt am Morgen, Kirche am Mittag und Feier am Abend. Der letzte Teil, zu dem auch ich anwesend war, startete natürlich mit Verzögerung um 23 Uhr. Das heißt, dass ich den Mund noch voll Essen hatte, als der Mitternachts-Countdown begann. Natürlich wurde auch hier auf das neue Jahr angestoßen. Mein Sitznachbar, ein seriös gekleideter Krawattenträger, fragte mich wortwörtlich durch die Blume, ob ich mit ihm den Rotwein öffnen möchte. Er ließ es erst gar nicht unerwähnt, dass das nur eine vorbereitende Maßnahme auf den schon kaltgestellten Gin sein sollte. Oft schaute er, die Flasche in der Hand wackelnd, schelmisch zu mir rüber, nur um sich des Füllstandes meines Glases zu vergewissern. Seine etwas abwesend wirkende Frau schien derweil schon genau zu ahnen, was nun passieren würde. Eine Stunde später stand da ein Mann – Hemd aus der Hose, Krawatte bis zur Brust und einem breiten Lächeln im Gesicht – zufrieden wie ein Kleinkind auf der Tanzfläche.

Die Hochzeit, die sich derweil recht isoliert von dieser Trinkstory abspielte, war angenehmerweise wenig durchgeplant. Es gab keine Spiele, Tanzwettbewerbe, Karateshows oder Feuerproben, sondern einfach nur die Botschaft: Habt Spaß! Natürlich durften dieselben Lieder wie zu Weihnachten nicht fehlen. Diesmal jedoch, erschienen sie mir passender.

Heute, am 08. Januar, bleibt bis auf die weihnachtlich geschmückten Kreisverkehre und einem „bonne année“ im Taxi nicht mehr viel von der Ferienzeit übrig. Langsam trudeln die Expats wieder in Kamerun ein, der Schulverkehr füllt die Straßen und die meisten Vorsätze sind schon wieder vergessen. Was war noch mal meiner?

Wohinnoch? ist ein Reiseblog, in dem wir mit ausgiebig Zeit die weniger beachteten Orte dieser Welt besuchen.

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