Kamerun

Meine erste Woche in Yaoundé

Der augenscheinliche Nachteil an chronologisch geschriebenen Reiseberichten ist, dass sich der Autor zwangsläufig einer Liste voller Aufzählungen ergeben muss, die zwar informativ, jedoch wenig unterhaltsam ist. Ich lief also – es war der fünfte Tag meines Aufenthalts – der Zeit entgegengesetzt, rückwärts durch den innerstädtischen Stadtverkehr, verwandelte Kohlendioxid in Sauerstoff und schaute dem Regen dabei zu, wie er von den Wolken aufgesaugt wurde. Und wenn auch die Taxifahrer im Rückwärtsgang fahren, oder das Ei ein Huhn legen würde – es würde in diesem Gewusel hier nicht weiter auffallen. Auch ist der Prozentsatz an französischen Sätzen, die ich verstehe, rückwärts wie vorwärts gesprochen, ungefähr identisch. Leider nur verweist mich mein Verleger (das bin ich) darauf, dass die zusätzliche Anstrengung, die die Mitlesenden aufbringen müssen, um solch eine bizarre Schreibweise nachzuvollziehen, deutlich die allgemeine Schmerzgrenze überschreitet. Fangen wir also ganz klassisch von vorne an.

Ich drehte mich gerade noch ein letztes Mal in Richtung Fernsehturm und versuchte zu identifizieren, wo in diesem Ameisennest unter mir gerade meine Freunde und Familie rumwuselten, da bedeckte eine kleine Ansammlung an Wassertropfen sowohl die Stadt mit dem B, als auch meine linke Wange. Ich bin nicht lange weg, gerade einmal fünf Monate, aber schließlich doch länger als meistens, wenn ich Berlin verlasse. Über Paris verschlug es mich an diesem warmen Apriltag für ein Praktikum im Bereich der internationalen Entwicklungszusammenarbeit in die kamerunische Hauptstadt Yaoundé. Da meine Freunde leider nicht ins Gepäck passten (die meisten sind zu dick), konnte ich als Trostpreis immerhin meine Gitarre, zwei weitere Koffer und ein Handgepäck mitnehmen.

Nachdem ich den Langstreckenflug links von André (super Typ) und rechts von einer Champagner- und Wein trinkenden Dame eingequetscht auf dem Mittelplatz verbracht hatte, atmete ich beim Aussteigen nach mehr als drei Jahren endlich wieder die etwas dickliche, zähe Luft Afrikas. Noch konnte ich mich nicht ganz entfalten, denn neben diversen medizinischen und administrativen Kontrollen, verbrachte ich insgesamt anderthalb Stunden am Gepäckband, neben einem nordirischen Militär, der meine Frage, ob er hier für eine NGO arbeite, verneinte. Es war schon nachts, als mich wenige Meter vor dem Ziel der Zollbeamte hinauszog und ich um meine Katjes-Tüten und Eisbonbons bangen musste. Doch das Glück blieb mir hold! Nun musste ich mich nur noch ins Auto meines Chauffeurs setzen und vor meiner Unterkunft aussteigen, in der mich meine gastfreundliche Vermieterin mit einem Glas Wein willkommen hieß. Viel Zeit für eine Roomtour hatte ich noch nicht, aber eines ließ sich bereits feststellen: Ich würde hier eindeutig über dem allgemeinen Lebensstandard leben, in einer, das kann man so deutlich sagen, Unterkunft, die zur oberen Oberschicht zählen dürfte. Ich hatte wenig Zeit darüber nachzudenken, denn in sieben Stunden musste ich schon im Büro sein.

Wahrscheinlich ist es wenig sinnvoll nach einer Woche schon viele Worte über das Land verlieren zu wollen. Einige erste Eindrücke jedoch können den Mitlesenden vielleicht schon vermitteln, wie sich Yaoundé anfühlt. Dazu stelle man sich vor, man stünde um neun Uhr morgens an der Pforte des örtlichen Internetanbieters. Es sind 28 Grad und heute Abend wird es ganz sicher regnen und vielleicht wird auch ein Sommergewitter hinter einem der sieben Hügel Yaoundé’s vorbeiziehen. Da das Büro um acht Uhr öffnet, ist neun Uhr normalerweise eine gute Zeit, um Dienstleistungen aller Art in Empfang zu nehmen. Normalerweise, denn heute, so sagt es mir der in Gelb gekleidete Wachmann, öffnet die Zentrale erst um zehn Uhr. Ob ich morgen wiederkommen kann, am Karfreitag, oder lieber Samstag? Das wüsste er auch nicht, ich könnte es aber ganz einfach mal probieren.

Ich laufe also zurück in Richtung Unterkunft, als mich plötzlich ein bewaffneter Mann in Uniform anhält und fragt, ob ich nicht vor zwanzig Minuten hier ein Foto geschossen hätte. Ich bejahe seine Aussage und frage ihn, was das Problem sei und merke dabei nicht, dass seine Frage das Problem schon beinhaltete: Ich habe vor der Residenz eines ausländischen Botschafters ein Foto geschossen, zwar in die andere Richtung, aber trotzdem genug, um mich als potenziellen Zuspieler einer terroristischen Bande, wie der im Norden des Landes wütenden Boko Haram, zuzuordnen. Kurze Zeit später stehen sieben mehr oder weniger offiziell bekleidete Menschen um mich herum und ich habe Probleme gleichzeitig den Bewegungen meines Reisepasses und meiner Kamera zu folgen. Dass ich nur ein laienhafter Praktikant bin, dessen Sicherheitseinweisung leider einen Tag zu spät durchgeführt werden sollte, interessiert die Beamten wenig, als sie mich nach mitgeführten Waffen und Zweck der Fotos befragen. Mein Argument, dass ich zu spät zu einem Meeting auf Arbeit komme, wird ganz einfach mit „Kein Problem, sag einfach, du wurdest von der Polizei angehalten.“ abgeschmettert.

Derweil blättert sich der schwer bewaffnete Soldat durch meine private Bildergalerie. Mein gesunder Menschenverstand untersagt es mir ihn auf die DSGVO aufmerksam zu machen. Lange Rede kurzer Sinn: Ich sitze die peinliche Prozedur aus, erhalte nach 15 Minuten meine Wertsachen zurück und habe von den bisher sechs geschossenen Fotos nur noch vier auf meiner Kamera. Dafür aber eine Lektion gelernt: Keine Fotos in Bastos, dem Botschafts- und Konsulatsviertel, in dem auch ich wohne. So kommt es, dass die Stadt auf meinen Fotos immer ruhiger wirkt, als sie eigentlich ist.

Was, außer polizeiliche Bekanntschaften knüpfen, stand in der ersten Woche noch an? Die Ostersonntagsmesse! Ich muss sagen, als vegetarischer Atheist, nötigt mir die Wortwahl einiges an Anstrengungen ab, um den Kamerunern beide meiner Lebenseinstellungen nicht etwa zu erklären, sondern immerhin als halbgare und hoffentlich zu respektierende Alternativen ihres Lebensstiles vorzustellen. Nachdem ich auf dem Markt vor der Messe Champignons aß, von denen ich bis heute nicht sicher bin, wie viele Hühner dafür sterben mussten, wurde ich auf der Messe doch fast zum Christen.

Die Vorstellung mit ihren faszinierenden Choralgesängen, Theatervorführungen und bunt geschmückten Gläubigen zog mich anfangs mächtig in ihren Bann, zumal mich eine nette Frau an die Hand nahm, um zu verhindern, dass ich als Neuer einen peinlichen Fauxpas begehe.

Doch als die Messe nach einer Stunde immer noch nicht vorbei war, ich mittlerweile begriffen hatte, dass Jesus heute wirklich (wahrhaftig) auferstanden ist und mein Hinterteil wund vom Sitzen wurde, fieberte ich wieder meinen satanischen Gelüsten, die mich zuhause erwarten sollten (Salzstangen), entgegen.

Wenig später machte ich mich auf den Weg in die Innenstadt, wo trotz der Osterferien ein Taxi nach dem nächsten schwarze Wolken in die Luft pustete und Kleinkrämer ihre wenigen und selten wirklich nützlichen Waren (Bonbons, Erdnusstüten und anderen Kleinkrams) feilboten. Yaoundé, das ist entweder rote Erde mit sattgrünem Blattwerk, oder wie hier im Centre Ville, Asphalt umgeben von Wellblech, zwanzig Jahre alten und nie beendeten Rohbauten. Nur was einen westlichen Namen trägt, ragt mit Glasfassade über die anderen Bauten empor, wie etwa das Hilton.

Im Kunsthandwerkszentrum kann man kurz Luft holen und sich mit Händlern und Künstlern über Gott und die Welt unterhalten, ohne sofort einen Kaufdruck zu verspüren.  Geht man wieder raus und atmet in einem der Taxis die Abgaswolke eines anderen Autos ein, stellt man überrascht fest, dass selbst der eigene Taxifahrer hier auf Abstand geht, um einer etwaigen Kohlenmonoxidvergiftung so geschickt wie den entgegenkommenden Motorrädern auszuweichen. Nachdem ich einen prüfenden Blick auf das Tachometer meines Chauffeurs, welches genau 0 anzeigte, geworfen habe, war ich direkt beruhigter.

Abends war ich dann bei einer Kollegin zu Gast, die für ihre Familie und mich ein Osteressen vorbereitet hat. Die kamerunische Küche ist sehr fleisch- und fischlastig, doch irgendwie kommt man als Vegetarier doch zu seinen Kalorien, meistens durch den Verzehr von Avocados, Reis, Kochbananen (neues Lieblingsessen), Eiern, Champignons, Baguette und Maniok, dazu jede Menge Obst! Während die Kinder während des französischen Kinderfernsehens um mich herumturnten und ich beim Stimmen der Minigitarre eine Saite zerstörte (ups), erlebte ich die angenehme kamerunische Gastfreundschaft, die mich sogar bis vor meine Haustür brachte, trotz leichter Überlastung bei sieben Personen im Auto.

Es sind gerade zu viele Eindrücke, die ich zeitlich und inhaltlich getrennt voneinander aufschreiben muss, um sie halbwegs authentisch nach Deutschland oder wohin auch immer zu transportieren. Ich möchte den Blogeintrag daher mit einem ruhigeren Ausflug, den ich am Wochenende unternommen habe, beenden: Die Besteigung des Mont Fébé (klingt arg übertrieben, der Hügel ist gerade einmal 300 Meter höher als die Stadt gelegen).

Der Hügel, den ich aus Hochachtung für sein Panorama doch schon als Berg bezeichnen möchte, lässt sich vom Nobelquartier Bastos begehen. Nobelquartier setzt sich hier nicht gleich mit Beverly Hills oder der City of Westminster, sondern heißt vielmehr, dass eine fette amerikanische Botschaft mit Golfplatz und 13 Kellergeschossen neben einer heruntergekommenen Holzhütte steht, in der Einheimische ihre Visadokumente zusammenstellen lassen. Es heißt zudem, dass zwischen den vielen gelben Toyota-Taxis immer mal wieder ein schicker Wagen der Marke Luxus mit schwarzem Chauffeur und weißer Entourage sich seinen Weg bahnt. Dass zwischen der Frau, die ihre Avocados auf dem Asphalt verkauft und dem kleinen Wagen mit aufgetürmten Ananasfrüchten wahlweise das Goethe Institut oder meine eigene von Mauern umgebene Unterkunft zu finden ist. Ein zweites Leben in einer Security-Blase inmitten eines Bezirkes, der von der großen Mehrheit ganz anders bewohnt wird. Wo war ich? Ah ja, der Berg!

Die Straße schlängelt sich also ihren Weg um die Windungen des Berges, die vor allem zum Wochenende ganze Scharen von Sportlern anzieht. Belohnt werden die fleißigen Athleten mit einem Ausblick über die ganze Stadt. Schaut man nach links in Richtung Osten sieht man den Präsidentenpalast einsam auf einem weiteren Hügel thronen. Auf der anderen Seite, im Westen buckelt sich die grüne Hügelkette ihren Weg ins Umland. Der Blick nach vorne, Richtung Süden, schlussendlich, bietet ein weites Panorama über die von hier aus so friedlich wirkende Stadt. Vor mir bearbeiten ein paar Frauen den Mais, der wohl noch nicht ganz reif für die Ernte ist. Auf dem Stein neben mir hat es sich derweil eine Eidechse gemütlich gemacht. Hier oben kann man tatsachlich ohne viel Luxus- oder Sicherheitsvorkehrungen geduldig genießen – ein Zustand, den ich der Stadt erst nicht zugetraut hätte.

André, 18.04.2022

Wohinnoch? ist ein Reiseblog, in dem wir mit ausgiebig Zeit die weniger beachteten Orte dieser Welt besuchen.

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