Peaks of the Balkans Wanderung Teil 5 – Nebelberge zum Schluss
So langsam taten mir die Füße weh. Ohne die Leserschaft mit verstörenden Details meiner untersten Körperregion zu verstören, muss ich loswerden, dass meine Fersen durch das ganze Bergaufsteigen ziemlich weh taten. Doch mittlerweile, es waren ja nur noch zwei Etappen zu bewältigen, flog ich auf einer Welle der Euphorie des bevorstehenden Zieleinlaufs. Dann werde ich endlich alle Zeit der Welt haben, weitere Synonyme für Wörter wie „Etappe“, „Aufstieg“ und „Ziel“ zu finden, damit ich auch mal einen Blogeintrag ohne diese Vokabeln schreiben kann.

Etappe 9: Plav nach Vusanje
Ich startete den Tag im idyllischen Plav, dem am See gelegenen Ort mit seiner Holzmoschee. Bei einer hier ansässigen Bäckerin kaufte ich mir süße Gebäckstücke mit Erdbeer- und Schokoladenfüllung, dazu noch ein bisschen Obst im Markt gegenüber. Die erste Herausforderung erwartete mich auf dem Weg in Richtung Vusanje. Ein kunterbunter Haufen Ziegen kündigte sich durch penetrantes Gebimmel an und damit natürlich auch die Gefahr eines Wachhundes. Wie ich durch das Gewusel durchkam, weiß ich nicht mehr, doch das Pfeifen des Schäfers bewirkte, dass sich die meckernden Böcke blitzartig nach links orientierten, ihre Dichte dabei nochmal erhöhten und mir so einen schmalen Weg freimachten.


Der Anstieg war zuerst lang, aber nicht steil und somit nicht sonderlich herausfordernd. Ich gähnte eine matschige Pfütze an, die wohl dachte, sie könnte mich mit ihrem nassen Modder aus dem Konzept bringen. Doch sie hat sich mit dem Falschen angelegt, denn auf meiner Brust blitzten bereits acht von zehn Peaks of the Balkans Abzeichen. Auch den Wanderern, die ich unterwegs traf und die sich ihr Gepäck mit dem Taxi von Ort zu Ort schicken ließen, spendete ich nur ein müdes Lächeln. Kurz darauf rutschte ich aus.


Nachdem ich auf einer von Himbeeren übersäten und Pferden bevölkerten Wildwiese mein Essen, welches eher einer Nachspeise als eines Mittags gleichkam, verspeiste, startete erst der echte Aufstieg mit 100 prozentiger Steigung. Hier war Schluss mit lustig. Der Weg war schmal, mit Wurzeln übersät und ich vergaß im Konzentrationstunnel meine Umgebung wahrzunehmen. Doch, wie so häufig, die Mühen waren es wert: Vor mir erstreckte sich noch einmal der majestätische Plav-See, in den sich ein schlängelnder Fluss, umgeben von einer Allee schmucker Bäume, ergoss.



Aber auch hier oben ließ es sich, mal abgesehen von den recht menschenfeindlichen Wetterbedingungen, aushalten: Neben lilafarbenen Steinen wuchsen Blaubeersträucher und Weidenröschen. Über einen Bergkamm ging es in einer selten so wahrgenommenen Stille an Seen vorbei, im fernen Hintergrund ein schneegraues Bergmassiv. Zeit für noch eine Pause. Diesmal schälte ich die Orange, die ich aus Plav mitbrachte, doch musste enttäuscht feststellen, dass ich eine Blutorange gekauft habe, von denen ich noch ein Trauma habe, da ich während eines Trinkspiels einmal eine mit Salz essen musste.




Die traumhafte Szenerie wurde nur kurz gestört: Ein Wachhund, der eifrige Blaubeerpflücker beschützte. Ich suchte für fünf Minuten nach einem Verteidigungsstock, mein Puls zog mächtig an, doch es ging alles gut. Die Wanderung auf dem Pass war himmlisch und es stimmte mich fast traurig, dass ich nach einigen Kilometern schon absteigen musste. Wieder an Pferden vorbeilaufend, die von den Blaubeerpflückern hier wie mehrere Mercedes geparkt wurden, zog sich das Herunterlaufen hin. Ich genehmigte mir noch ein Energiegel (nicht Energieegel) und wanderte nach Vusanje – natürlich auch wieder bildhaft schön zwischen den Bergen gelegen, langsam gehen mir wirklich die Beschreibungen aus.




Kurz bevor der Regen hereinbrach, trafen wir sieben Zwerge, die wir uns auf den letzten Kilometern wiedergetroffen haben, in einer Unterkunft ein und bezogen ein Familienhaus, welches wir hier wie eine Schulklasse bewohnten. Und so näherte sich also auch schon der letzte Tag, das allerletzte Mal früh aufstehen, Tomate-Gurken-Feta Sandwiches essen und zum letzten Mal die Hosenbeine an die Hose zippen. Da ich mich noch in Montenegro befand, musste es heute logischerweise wieder über eine Grenze gehen, die Dokumente dazu habe ich mir vor zwei Tagen in Plav aushändigen lassen.


Etappe 10: Vusanje nach Thethi, Albanien
Glücklicherweise ließ mir die heutige Strecke etwas Zeit zum Eingewöhnen und bot dazu auch noch eine schöne Naturdarstellung: Ein tiefblaues, nasses Auge mitten im grünen Wald. Hier traf ich nach mehr als fünf Tagen auch die Norweger wieder, mit denen ich vor ein paar Tagen einige Kilometer gemeinsam gelaufen bin. Nach ungefähr drei Kilometern stand mir ein altes Auto im Weg: Es war der Ranger des Naturparks, der hier für einen Euro Eintrittskarten in den Park verteilte und dabei den Motor laufen ließ.


Der Weg zeigte immer weiter nach oben, denn auch er hatte vor mich heute in karstiges Steingebirge zu führen. Mitkriegen sollte ich davon jedoch nicht sonderlich viel, denn die meiste Zeit wanderte ich in einer trüben Wolke, in der ich mir nie sicher sein konnte, ob es gerade regnete oder einfach nur durchgehend feucht war. An einem epischen See vorbei, dem leider jemand den Stöpsel gezogen hatte, hörte ich mystische Trompetenlaute in der Ferne. Von dem sich im leeren Becken befindlichen Schlangen, die ich zum Glück nicht zu sehen bekam, kamen diese Töne wahrscheinlich nicht. Näher an den Ursprung dieser Geräusche kam ich jedoch nicht.


Ich stieg weiter empor und hätte mir dabei eine Abkürzung ersparen sollen, denn sie führte mich über nicht ungefährliche rutschige Steinplatten, die in nicht schwindelfreier Höhe ziemlich steil nach oben führten und dabei einige Körperverrenkungen erforderten– zum Glück konnte ich nicht so gut sehen. Meine zwei Wanderfreunde, die sich bereits in ihren Siebzigern befanden, sind mir zum Glück nur kurz gefolgt und haben sich dann dazu entschieden, den normalen Weg zu laufen.
Die Landschaft wurde bei immer dichter werdenden Nebel farblich minimalistischer. Aus bunter Natur wurde ein weißer Vorhang durchsetzt von den schwarzen Umrissen der Bäume und Felsen. Einzig und allein das nahe Grün der Wiese half mir es von einem Schwarz-Weiß Film zu unterscheiden. Hier in dieser Welt, die so aussah, wie ich mir eine dämmernde Zwischenwelt zwischen Leben und Tod vorstelle, begreift man schnell, wo all die örtlichen Mythen und Sagen herkommen. Ein Klackern von Hufen kündigte einen Reiter an, der aus dem Nichts herausgeritten kam, an uns vorbeitrabte und wieder im Nichts verschwand.



Unweit und trotzdem im Mantel des Nebels versteckt, verbarg sich eine Schäferhütte, um die herum Esel grasten und in der von einem faltigen Hirten ein wenig Traubenraki ausgeteilt wurde, auf dass sich der Körper von Innen wärme. Das Lagerfeuer in seiner Holzhütte war zwar brandschutztechnisch bedenklich, jedoch auch der einzige Grund warum der Hirte hier nicht bereits als Eiszapfenstatue Teil einer urzeitlichen Bergbewohneraustellung ist.




Es ging noch mal ein paar Meter nach oben. Der Wind pfiff mir unaufhörlich um die Ohren und drückte dabei die Temperaturen nahe dem Gefrierpunkt. Eine riesige Schafsherde samt kleiner Lämmer tummelte sich blökend vor uns und wurde vom magisch anmutenden Hirten in zwei Hälften getrennt, um uns den Weg freizumachen.



Den Gipfel konnte ich kaum genießen, denn hier erreichte der Wind seine Höchstgeschwindigkeit, dass ich Kopfschmerzen bekam. Oder war es der Raki? Jedenfalls sah ich an einem Gipfelkreuz, dass Jesus auch hier war, machte ein zittriges Foto und sah zu, dass ich wieder in Gefilde kam, die dem Menschen einen angenehmeren Lebensraum bieten.



Der steile serpentinenartige Abstieg zog sich einige Kilometer hin, zwischenzeitlich machte ich mit meinen Gefährten eine Pause bei einer weiteren Wandergruppe, die sich mitsamt einem Guide an einem Feuer wärmte. Hier, die Sicht war schon etwas klarer, konnte ich bereits das Tal mitsamt dem Start- und Zielort Theth erkennen. Lohnenswert war aber auch der Blick zur Seite zu den schroffen Felsen, deren farbigen Einprägungen ihre Millionen Jahre alte Existenz verrieten.


Kurz verzehrte ich mein Mittagspaket und schon ging es schnell weiter, bis der Wald uns wieder vor dem Wind schützte. Schon nach kurzer Zeit konnte ich stolz auf den erklommenen Berg zurückblicken: Mit seinen sich immer noch dort türmenden Wolken sah er aus wie ein kochend überschäumender Dampfkessel. Ab jetzt war der Weg einfacher, es handelte sich dabei leider und zum Glück schon um die letzten Kilometer auf meiner Reise. Noch einmal genoss ich einen Tee in einer aus Holz gezimmerten Bar, ließ mich von ein paar Hunden verfolgen und kam dann, ganz allmählich, in Theth, dass ich an seiner kleinen Kirche erkannte, an.


Damit ist meine Wanderung in den albanischen Alpen beendet. In zehn Wandertagen und einem Pausentag legte ich ungefähr 200 Kilometer und dabei circa 10,000 Höhenmeter jeweils runter und hoch zurück. Es war dementsprechend anstrengend, aber all mein Glück mit dem Wetter und den unterwegs getroffenen Menschen machte die Rundtour leichter, als mir oft zugeredet wurde. Das Ziel, welches mir meine Professorin mit auf den Weg gegeben hat „Nicht erschießen lassen!“, habe ich ebenfalls erreicht. Abgesehen von normaler Wanderausrüstung waren die drei praktischsten Gegenstände auf dem Weg: Ukulele, E-Book und Halstuch. Ersteres begeisterte jede Menge Kinder auf dem Weg, Zweiteres ersparte mir viel Gewicht und ohne Letzteres wäre ich wahrscheinlich erfroren.
Jetzt geht es noch für einen Kurzaufenthalt nach Tirana, worüber ich noch einen letzten aktuellen Blogeintrag von dieser Reise verfassen werde, und vielleicht gibt es dann nochmal in Zukunft einen, der einen Kreis um die Peaks of the Balkans Tour schließt. Im Moment bin ich zu faul für lange Zusammenfassungen, ich schlaf erstmal ausgiebig.


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