Peaks of the Balkans Wanderung Teil 4 – Pfeffergel und Aberglaube
Nach dem die letzten beiden Tage landschaftlich nicht überwältigend waren, ging es an einem glücklicherweise regenlosen Sonntag wieder ins alpine Hochgebirge. Am reich gedeckten Frühstückstisch war das bestimmende Thema unserer spontan und lose zusammengewürfelten Gruppe noch potenzielle Verteidigungsmaßnahmen gegen Bären, Wölfe, Hunde oder Menschen, die „der“ Nutella sagen. Ein Augsburger, Jahrgang 1945, hatte dabei ein ganz neues Produkt auf dem Markt entdeckt: Pfeffergel. Anders als das gleichnamige Spray, muss man sich bei dieser Variante etwas näher an den Übeltäter heranwagen. Das gesteigerte Gefahrenpotential wird dabei aber durch eine beeindruckende Erfolgsquote ausgeglichen, sofern man die Creme auch sorgfältig mit den beiden Daumen in einer Kreisbewegung in die Augen des Gegenübers einmassiert.
7. Etappe: Kucishtё nach Babino Polje, Montenegro
Nach einer heißen Schoki, es war eine von denen, die man auslöffeln kann, weil sie so dickflüssig und damit genau mein Fall sind, führte mich der Weg natürlich wieder bergauf. Ungefähr 800 Höhenmeter galt es vorerst zu bewältigen. Nach 20 zog ich bereits meinen nach Regenwasser und Kaminrauch riechenden Pullover aus. Die restlichen 780 waren ziemlich qualvoll, aber auch abwechslungsreich: Ein Bergsee spiegelte sich im vormittäglichen Sonnenschein.




Am Gipfel und damit auch genau an der Grenze zwischen Kosovo und Montenegro, fiel mir nichts anderes ein, als laut zu applaudieren, als sich das Bergpanorama plötzlich vor meiner Wenigkeit öffnete. Nicht nur konnte ich unfassbar weit sehen, es waren auch die mit Blaubeersträuchern rot gepuderten Wiesen und die dunkelgrünen Latschenkiefern die wie wahllos verschüttete Farbtupfer auf den gegenüberliegenden Hängen lagen, derentwegen ich mich in einer Modelllandschaft zu befinden glaubte. Ich verweilte bestimmt eine Stunde auf dem Gipfel, erklomm dabei zwei schöne Aussichtspunkte und stibitzte so viele Heidelbeeren von den Büschen, dass meine Hände lila wurden.




Da es ab nun an bis auf kurze Ausnahmen flach über den Kamm oder hinab ging, konnte ich mir alle Zeit der Welt lassen, um die Umgebung zu genießen. So viel, dass auch mir irgendwann auffiel, dass die Berge zu meiner linken Seite mir nicht bekannt vorkamen, weil ich sie bereits in einem Reisekatalog gesehen habe (was ist das überhaupt?), sondern weil ich auf ihnen bereits vor drei Tagen entlanglief. Die Hälfte der Tour ist also schon vorbei.



Die nächsten Kilometer verliefen über angenehme Trampelpfade, die ich Ukulele-spielend entlangwanderte. Ich lief vorbei an zerfallenen Schäferhütten und schließlich bergab ins Tal, in dem sich das heutige Etappenziel Babino Polje befand. In der für Wanderer zurechtgemachten Unterkunft eines älteren Herren fand ich meinen nächtlichen Unterschlupf. Leider konnte ich mich mit dem Besitzer nicht gut auf Englisch unterhalten, was immer schade ist, weil man genau weiß, dass hinter der Sprachbarriere so viele Geschichten und Fakten warten, die einem Stück für Stück dabei helfen würden das Land und seine Leute kennenzulernen. Ganz wie mein montenegrinisches Vokabular war auch das Abendessen recht mager: Brot, Tomate, Feta und Ei. Es reichte zum Überleben, ließ mich aber auch nachts von Bohnensuppen, Fli und natürlich von heißer Schokolade träumen.



Etappe 8: Babino Polje nach Plav
Im Schatten der Dunkelheit schütteten die Regenwolken alles aus, was in ihnen steckte. Punkt um sieben Uhr morgens waren sie dann glücklicherweise alle. Ich aß mein dürftiges Frühstück – immerhin gab es die montenegrinische Variante von Nudossi – und startete den Tag durch das Prokletije. Noch auf den ersten Metern kreuzte ein wackelnder Feuersalamander gemächlich den Schotterweg.


Der Höhepunkt der heutigen Etappe sollte ein klarer Bergsee sein. Leider traf ich aber auf einen bräunlich zermatschten Tümpel auf dessen Oberfläche Gräser schwammen, die aussahen wie ausgefallene Haare eines Cocker Spaniels. Nach nicht mal zehn Minuten zog ich enttäuscht weiter. Jetzt erst, nach 100 weiteren Metern, öffnete sich ein weiterer See, der seinen Namen auch wirklich verdient hat und mich überzeugte meine Pause zu verlängern. Die Mythen, von denen es in Albanien, Kosovo und Montenegro sehr viele gibt, besagen, dass der See, der der Schönste von allen sei, lange vor den Menschen versteckt gehalten wurde damit dort ungestört Elfen baden können. Ich schloss mich ihnen, die nun seit einigen Jahren nicht mehr ungestört sind, trotz Badehose im Rucksack nicht an.



Allgemein scheinen die Menschen in der Gegend sehr abergläubisch. An Häuser wird als Schutzpatron ein Plüschtier oder Knoblauch gehangen, Wälder werden von Nymphen, Elfen und anderen mystischen Wesen bevölkert und die Entstehungsgeschichte der Rozafa-Burg habe ich bereits im ersten Blogeintrag der Albanienreise erwähnt. Und ganz wichtig: Am Donnerstag schneidet man keine Fußnägel.


Nach dem See führte mich der Weg langsam, aber sicher wieder zurück in die Zivilisation, von 2000 Höhenmetern auf 900. Als die Beine schon müde vom Hinabsteigen wurden, öffnete sich endlich das Plav-Tal mit seinem riesigen See, saftig grünen Wiesen und der dazugehörigen, von roten Dächern übersäten Kleinstadt. Auch war die Luft gleich viel wärmer.



Nach einem kurzen Stopp an der Polizeistation – es ist nämlich geboten sich ein offizielles Dokument für die Grenzüberquerung zurück nach Albanien zu besorgen – fühlte ich mich wie der Gringe, der zum ersten Mal in das kleine Winterdorf hinabsteigt. Auf einmal sah ich Menschen, die nicht im bäuerlichen Stil daherkamen, zur Abwechslung nicht grüßten und von Supermarkt zu Supermarkt liefen. Tatsächlich gibt es davon so viele, dass man meint, sie müssten für das Fehlen der Supermärkte in den Bergen ausgleichen. Und das Angebot erst: Bananen und Nektarinen! Wenn ich auf dieser Reise erkranke, dann sicher an Skorbut, da helfen alle Blaubeeren nichts. Also kaufte ich mir erstmal frisches Obst. Meine Feta-Euphorie ist mittlerweile ohnehin einer Nostalgie nach abwechslungsreicherem Essen gewichen, weswegen es heute des Weiteren noch Pizza, Pommes, Crepes und Milkshakes gab – ja ich hatte Hunger und Appetit auf den Westen.



Unten: 1 Euro
In dem lange Zeit osmanischen Städtle sind zurzeit die meisten männlichen Bewohner damit beschäftigt Brennholz für den Winter in Scheite zu hacken oder in Gruppen in Sportbars rumzuhängen. Ich traf auch auf einige Spaziergänger, die sich wie ich zum großen See begaben. Auf dem großen Steg flog mir ein Schwarm Vögel um die Ohren und ich hatte Glück, dass mir keiner ins Gesicht flog, nicht wie damals in Australien. Sonst noch erwähnenswert ist sicherlich die alte Holzmoschee nicht weit entfernt von einem kleinen Bach, der durch Plav verläuft.


Die Kleinstadt lüde mich sicherlich zu einem Pausentag ein, wäre da nicht der Ehrgeiz die letzten zwei Tagestouren auch noch zu schaffen. Nicht umsonst sollte das Wetter weiterhin stabil bleiben und somit jedwede Ausrede im Keim ersticken.

