Peaks of the Balkans Wanderung Prolog – Schifffahrt nach Albanien
Nach meinem Sprachaufenthalt in Frankreich und Durchreise durch Italien sollte der zweite Abschnitt meiner Reise am Hafen von Ancona beginnen: Die Wanderung der Peaks of the Balkans Tour durch Albanien, Kosovo und Montenegro. Bevor ich allerdings die 25,000 Tonnen schwere Claudia besteigen sollte, verbrachte ich ein paar Tage in dem Ort, in dem ich zu genau dieser Zeit fast meinen Master begonnen hätte: Rimini.

Über die Zeit in Italien brauche ich nicht viele Worte zu verlieren. Rimini ist den meisten wahrscheinlich als Mekka des Sauftourismus bekannt und dem möchte ich nicht widersprechen. Sinkende Touristenzahlen im Herbst mischen sich mit konstant hohen Getränkepreisen, doch das ist kein Problem, wenn man einen äußerst spendabler Mailänder in seinen Reihen hat, der auf eindrucksvolle Weise bewies, dass man Sympathie nicht mit Geld kaufen kann. Unweit von Rimini befindet sich außerdem San Marino, ein Zwergstaat mit grandioser Aussicht bis zum Meer, Verkehrspolizisten mit gelben Lederhandschuhen und einer für den Einkaufstourismus geopferten Altstadt. Immerhin waren die Arte Ultras hier, ein für seine Blutrache gefürchteter Verein menschenfressender Kulturliebhaber.




Ansonsten habe ich noch 1,6 Kilogramm Sachen zurück nach Deutschland gesendet, damit ich meinen Rucksack nicht wie einen toten Hirsch hinter mir herziehen muss, sondern auf leichten Federn durch die Alpen des Balkans fliegen kann. Als das erledigt war, machte ich mich auf dem zum Hafen in Ancona, denn, so besagt es das erste Gebot der Backpackerbibel:
„Für einen Backpacker sind Nachtfahrten sind stets zu bevorzugen, da er sich so den Preis für eine Unterkunft spart. Backpacker aus reichen europäischen Ländern können sogar die anschließende Rückentherapie beim Physio mit ihrer Krankenkasse abrechnen.“

Nun zu Claudia: Das 185 Meter lange Schiff, welches 950 Personen und eine Menge Laster gleichzeitig beherbergen kann, sollte mich innerhalb von 16 Stunden von Italiens Ostküste bis nach Durrës, einer Hafenstadt an der Westküste Albaniens kutschieren. Am Hafen von Ancona herrschte reges Treiben. Dreitagebärtige Männer mit orangenen Helmen und Westen liefen geschäftig von links nach rechts und stellten ihre Autorität durch lautes, ständiges Rufen unter Beweis. Ich betrat die Fähre, stellte mich auf die Rolltreppe und ließ mich bis aufs Oberdeck befördern.




Im Licht der untergehenden Sonne fuhr das Schiff langsam aus dem Hafen hinaus ins weite Meer und alles, der Dom, die Klippen sowie die Hafenkräne wurden langsam kleiner. Alles, bis auf das am weitesten entfernte von allen: Die Sonne. Sobald der Kapitän die Fähre in den Drive Modus geschaltet hatte, spürte man die wuchtigen Umdrehungen der Schiffsschraube bis aufs Oberdeck. Der Horizont verschwand langsam in der Nacht und ich hatte genügend Zeit mich in der Lounge umzusehen.


Mir begegnete eine überwältigende Mehrheit Männer, die aussahen, als würden sie ihr ganzes Leben schon LKWs fahren, Kräne bedienen oder Ölfässer reinigen. In kleinen Runden saßen sie um einen der vielen festgeschraubten Tische und spielten Domino, Nationalsport des Mittelmeeres. Immer wieder sprang ein alter weißhaariger Mann auf, raufte sich die Mähne, krächzte seinen Mitspieler mutmaßlich nicht jugendfreie Wortfetzen in die schmunzelnden Gesichter und sorgte so für Gelächter im ganzen Saal. Neben dem Beobachten von Leuten vertrieb ich mir die Abendstunden mit Lesen.

Mein heutiger Schlafplatz war Sitz Nummer 6 im großen Saal, zweiter Stock. Mich verwirrte jedoch, dass ich die einzige Person im mehr als 200 Sitze umfassenden Raum zu sein schien. Nur noch eine weitere Person hatte es sich im Schlafsack auf dem Boden des Saals gemütlich gemacht. Der Rest schlief auf den Sofaecken der Lounge oder in Privatkabinen.



Mein Schlaf entpuppte sich als überraschend angenehm und das trotz zweierlei Herausforderungen: Das weiße Zahnarztlicht im Raum brannte die Nacht hindurch und die Klimaanlage teilte mir mit, dass ihr Berufswunsch eigentlich schon immer der eines Kühlschranks war. Doch ich schuf mir Abhilfe: Die Atemmaske funktioniert auch super als Sichtschutz und ich fand sogar eine vereinsamte Decke ein paar Sitze weiter.
Ich stellte mir den Wecker auf kurz nach sechs Uhr, schaute mir den hinter Wolken versteckten Sonnenaufgang an und bewunderte dabei sogar Meerestiere, die ich am ehesten als Delfine interpretieren würde. Etwas merkwürdiger jedoch fand ich die kleine Schar Spatzen, die im Windschatten des Schiffes flatterten und mir leider nicht klarmachen konnten, wie sie es überhaupt bis hierhin geschafft haben. Auf Deck 5, hier ohne Strandareal, gab es eine ganze Menge aufgerauchter Zigarettenstummel zu bewundern.


Kurz vor 10 rief niemand „Land!“, denn es war eh schon allen klar, dass der Erdklumpen da vorne Albanien hieß. Langsam verfeinerten sich die Umrisse und aus dem Klumpen wurden ein ansehnliches Stück Küste.


In Durrës angekommen, besorgte ich mir Geld für die nächsten Wochen und setze mich, nach freundlichen Hilfe der albanischen Bevölkerung in den Bus Richtung Shkodra. Während ich mich noch einmal kurz in Morpheus Arme begab, fungierte die Maske als ausgezeichneter Sabberfänger.


Shkodra ist eine der größten Städte Albaniens und befindet sich nördlich im gleichnamigen Qark, eine der zwölf Gemeinden des Landes. Mir blieb nicht viel Zeit, doch hier gab es neben Moscheen eine wundervolle Burg auf dem Festungshügel Rozafa zu bestaunen. Zwischen drei Flüssen und dem größten See im Balkan gelegen, thront diese Steinruine über den Bewohnern des modernen Shkodra. Ihre Ursprünge gehen zurück auf das 4. Jahrhundert vor Christus, in dem, so lautet die Sage, die Ehefrau Rozafa fast gänzlich von ihrem Mann und zwei Freunden in den Steinwänden eingemauert wurde, damit die Burg für immer halte. Lediglich eine Bitte brachte Rozafa an die hervor: Brust, Bein und Arm sollten ausgespart werden, damit sie gleichzeitig noch die Kinder ernähren, streicheln und wiegen könne: Gelungene Emanzipation geht anders.




Meine Erfahrung auf dem Schiff hat auch in Shkodra Bestätigung gefunden, man sieht, vor allem in Bars, in auffallender Häufigkeit reine Männergruppen jeden Alters beisammensitzen und selten gemischte Runden. Erst spät am Abend auf einem örtlichen Stadtfest, wird ersichtlich, dass hier tatsächlich 50% der Anwohner Frauen sind.





Meine Anreise ist noch nicht ganz zu Ende erzählt, denn am nächsten Morgen musste mich noch ein Minibus bis nach Thethi, dem Startort vieler Tagesreisender, bringen. Bisher habe ich noch niemanden getroffen, der wie ich den ganzen Weg wandert. Auf einer im letzten Jahr fertiggestellten Asphaltstraße ging es 20 Kilometer in Schlängellinien bergauf in den kleinen Urlaubsort auf 750m Höhe. Hier, im Kessel, umgeben von mächtigen Bergen, läuten schon die Glocken der sich am klaren Wasser erfrischenden Kuhherden.




Den höchsten Punkt, den ich auf dieser Wanderung erreichen werde, liegt bei ungefähr 2600 Metern. Insgesamt erwarten mich 185 Kilometer, 11.500 Höhenmeter in einem ehemaligen Kriegsgebiet, das erst kürzlich für den Tourismus erschlossen wurde. Ich bin bereit!


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