Carcassonne und La Ville en Rose
Die einen legen unbesorgt Plättchen an Plättchen, um eine besonders schöne Landschaft aus Burgen, Wegen, Klöstern und Wiesen zu errichten, die anderen berechnen, mit herablassendem Blick, akribisch genau die Punktzahl für jede mit ihren Pinöppeln besetzte Wiese und sind sich dabei nicht zu schade, die Brettspielästhetik ein paar Punkten wegen zu opfern. Ob Typ A oder B, was uns alle vereint ist, dass wir alle, ob freiwillig oder gezwungenermaßen, wohl schon einmal Carcassonne, das Spiel des Jahres 2001 gespielt haben.
An einem von losen Wattewolken geschmückten Samstag besuchte ich mit zwei weiteren Mitstudenten meiner Sprachschule die Festungsstadt, deren Ursprünge bis in die Römerzeit zurückreicht. Wir passierten zunächst die modernere Unterstadt und suchten nach Hotels, bei denen ich meinen Rucksack hätte ablegen können. Nach dem das erste Hotel aufgrund von Corona keine Rucksäcke annimmt, übrigens auch keine geimpften, blieb nur noch das Hotel Royal, welches, wie mein Mitreisender richtig bemerkte, wenig königlich aussah. Nicht einmal der hinter einer Fensterscheibe sichtbare Union Jack, konnte über die porösen Wände hinwegtäuschen, die wie der abgebröckelte Blätterteig eines Croissants, das man mit einer viel zu großen Zange aus dem Brutkasten eines Backshops entnahm, aussahen. Immerhin konnte ich mir so die sechs Euro Gepäckgebühr als Beitrag zur zukünftigen Renovierung schönreden.
Schon bevor die Burg in unsere Sichtweite geriet, versetzte uns die Unterstadt in Entzücken. Die lebendigen Gassen wurden von einem Meer aus Regenschirmen überdacht, die leise im Wind tanzten. So blieb meiner nordeuropäischen Haut noch ein wenig Zeit, sich auf die folgenden sonnenreichen Stunden vorzubereiten. Mit frischem Obst in den Händen näherten wir uns der Festung, deren Erbauer augenscheinlich darauf Acht gaben, dass sie aus wirklich jeder Perspektive mächtig erscheint. Nach dem Überqueren der Brücke und dem Besteigen der ersten Stufen, betraten wir die Burg mit ihren von roten Ziegeldächern geschmückten Türmen. An einem Trinkwasserbrunnen duschte sich eine Taube unter dem herabfließenden Wasserstrahl.
So schwer es die Belagerer, ob Franzosen, Spanier oder Araber es hatten diese Burg einzunehmen, so einfach gelangte ich heute, als ahnungsloser Tourist, hinein – der Eintritt ist nämlich bis unter 26 Jahre gratis. Alle über sechsundzwanzigjährigen mussten beim Tjost ihren Mut unter Beweis stellen. Das Innere der Cité de Carcassonne ist geprägt von schattigen Höfen, aussichtsreichen Mauerwegen, beherbergt ein kleines Freilichttheater und natürlich den Bergfried: „Wo der König wohnt!“, wie es mein achtjähriges Ich zu umschreiben pflegte. Schon merkwürdig, dass ich beim Passieren des gegenüberliegenden Spielzeugladens nicht mehr den Drang verspüre, einen mächtigen Axtkämpfer kaufen zu wollen. Viel eher fällt meine Aufmerksamkeit auf die Infotafel, die verrät, dass die Burg im 19. Jahrhundert vom französischen Architekten Eugène Viollet-le-Duc aufwendig restauriert wurde, sonst wäre sie heute wahrscheinlich kein so großer Touristenmagnet. Mein argentinischer Freund, Architektur und Restaurierungsstudent, tut sein Übriges, um mir die verschiedenartigen Baustile, die sich in dem weiten Rund erspähen lassen, näher zu bringen.
Wir umrundeten die Burg einmal auf der drei Kilometer langen Mauer, von der es zwei gibt, und stiegen hinab in den Zwinger. Außerhalb des Mauerrings bildeten sich beim Blick auf das Gewölbe wundersame Halbringe, hinter dessen Daseinsgrund wir bis heute nicht gekommen sind. Mein deutscher Reisebegleiter beißt, vom Vogelgezwitscher aus dem Busch begleitet, in eine Feige, diesmal eine ohne Stacheln.
Am nächsten Tag bin ich für einen Ausflug mit der Studentenstadt Toulouse verabredet. Die Hauptstadt Okzitaniens präsentiert sich mir dabei in einem rosafarbigen Gewand. Da es in der Nähe von Toulouse keine Steinbrüche gibt, wurden Ziegel für Ziegel gestapelt, damit sich Stück für Stück eine 500,000 Einwohner umfassende Metropole aus Ton formieren konnte.
Die Laufrichtungen werden hier von zweierlei Wegweisern bestimmt: Der erste verläuft geordnet am Ufer der mächtig breiten Garonne, die in ihrem Größenwahn die Bürger schon mehrfach in Angst und Schrecken versetzte, sodass dieser Strom aus den spanischen Pyrenäen mit verschiedenen Techniken menschlicher Baukunst gebändigt wurde.
Und dann ist da noch die chaotische Verästelung kleiner sowie großer Straßen rund um das Kapitol, das pulsierende Herz der Stadt, von dem aus das Leben in die Gassen gepumpt wird. In einem dieser Gefäße donnerte mir ein gewaltiger Tenorgesang entgegen. Sein Ursprung war eine Gruppe junger Männer, die zu Mittag essend, anscheinend ihre Generalprobe in a cappella zum Besten gaben.
Fast schon beiläufig möchte man da die vielen Kirchen und Kathedralen erwähnen, die trotz ihrer unterschiedlichen Bauweise allesamt in feinem Ziegelzwirn daherkommen. Immerhin gibt es mit der Saint-Sernin Basilika die größte romanische Kirche Frankreichs zu bestaunen.
Ich machte eine kurze Pause in meinem Hostelzimmer, welches ich mit zwei Franzosen, einem Hubschraubermechaniker der französischen Armee und einem Studenten aus Cannes, teilte. Als plötzlich der klapperige Stuhl unter dem Rekruten zusammenbrach, entpuppte sich dieser auch gleich noch als Reparateur für ramponiertes Mobiliar und wendete sofort die richtigen Griffe an, um den vorherigen Sitzkomfort wiederherzustellen. Ich entschied mich für einen Sonnenuntergangsspaziergang an der Garonne und sollte es nicht bereuen.
Sonderte die Stadt schon tagsüber ihren rosafarbigen Teint über ihren Bewohnern und Besuchern aus, so strahlte sie jetzt förmlich wie das Innere eines Glutofens. Am Horizont senkte sich ein riesiges Flugzeug, die Blutsonne kreuzend, zwischen dem alten Armenkrankenhaus und dem wie wild um Aufmerksamkeit blinkenden Riesenrad. Auch wenn es vom sich abspielenden Sonnenuntergangsspektakel ablenken mag, lohnt es sich hier zu erwähnen, dass Toulouse das aeronautische Zentrum Frankreichs ist. Airbus und Co beschäftigen hier ungefähr die halbe Stadt. Das Flugzeug ist verschwunden, der zweite Akt konnte beginnen.
Je dunkler der Himmel sich färbte, aus orange wurde bekanntermaßen lila und aus lila tiefes blau, desto mehr ähnelte das Panorama der Sternennacht eines einohrigen Niederländers. Die Laternenlichter brachen sich in den seichten Wellen des Wassers und selbst die unnatürlichen Neonfarben des Riesenrads fanden ihren Platz auf dem nassen Spiegel. Sonnenuntergänge sind so kitschig schön, man möchte sich vor Freude springend übergeben. Als wäre es damit noch nicht genug, bemerkte, während ein von Leuchtketten geschmücktes Boot mit dem Namen „Horizon“ langsam die Garonne vorbeischwamm, ein junger Mann neben mir passend: „Un beau moment, hein?“
Was möchte man noch von Toulouse erwähnen? Die Stadt ist gesegnet mit schönen Stadtparks, vom japanischen Garten im Nordwesten, über die Uferbänke bis hin zu dem Kreisgarten am Boulingrin Platz, an dem eine Gruppe Menschen im Pavillon den langsamsten Tanz, den ich je gesehen hab aufführten. Ich glaube es war sehr nachdenklicher Tango. Es ließe sich des Weiteren noch viel über die gotische Peterskathedrale, oder das Kloster der Jakobiner, in denen die Gebeine Thomas von Aquins liegen sollen, erzählen, doch der Blogeintrag gerät, wenn man weitreichenden Umfragen glauben mag, langsam an die Aufmerksamkeitsgrenzen meiner verehrten Leser.
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3 Comments
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Wo ist der Beitrag mit der Katze? Er sit nicht verlinkt 🙁
Doreen
Wow…habe mir jetzt mal die Zeit genommen und deine Beiträge gelesen….sooo schöne Bilder! Der Sonnenuntergang ein Traum. Deine Worte: „Sonnenuntergänge sind so kitschig schön, man möchte sich vor Freude springend übergeben.“ hätten meine sein können. Einfach cool zu lesen was du so treibst und wie es dir geht! Amuse toi bien und pass auf dich auf! Liebe Grüße Doreen
P.S. Meine Freitage sind ganz schön einsam geworden seit du weg bist.
André
Freut mich mega, dass du mitliest, Doreen! Teams-Freitag kommt wieder, wirst schon sehen!