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Sandwege, Rosa See und eine Lüge

Wegen der unweigerlich näherkommenden Mittagshitze wollte ich auf keinen Fall zu spät losfahren. Sobald es also hell wurde, sattelte ich mein Ross, auch, um dem starken Verkehr in Dakar zu entkommen. Meine Route, ich hatte sie so gelegt, dass ich möglichst wenig durch die Großstadt Dakar fahren musste, sollte Richtung Norden nach Mboro führen. Schon von meinen beiden Gastgeberinnen verabschiedet, schnallte ich vor dem Haus stehend meine zwei Radtaschen an mein Fahrrad. Jetzt ist der Moment also gekommen. Hatte ich zu viel dabei? Bestimmt. Ich hatte mich schlussendlich dazu entschieden für alle Notfälle mein Zelt und die Isomatte mitzunehmen und über den beiden Radtaschen zu verstauen. In den letzteren waren ein paar Sportsachen, drei T-Shirts, ein Hemd, eine Hose, Unterhosen, Socken. Meine Waschtasche mit Medizin und Erste-Hilfe-Set, ein Handtuch, meine Kamera, Reiseführer und ein Buch. Dazu noch Werkzeug, ein paar Ersatzteile, ein Moskitonetz und das war es. Beim Krämerladen um die Ecke kaufte ich mir noch 2 frische Baguettes, den Weichkäse, der im Verlauf des Tages seinem Namen immer mehr entsprechen sollte und so viel Wasser, wie ich erst einmal mitschleppen konnte.

Ich hatte mich schon auf den Sattel geschwungen, da fragte mich ein junger Mann noch, wohin die Reise denn gehe. Ich erzählte ihm, dass ich erst nach Saint-Louis und dann in die Casamance fahren wollte. Er selbst, gebürtig in der Casamance, empfahl mir seine Heimat, die er aus beruflichen Gründen in Richtung Dakar verlassen hat. Hier in Dakar, beschwerte er sich, schaue man etwas lächelnd auf die ländlichen Bewohner des Südens. Ich als Berliner konnte das gut nachvollziehen.

Es wurde nun immer wärmer und für mich höchste Zeit loszufahren. Das Etappenziel lag immerhin mehr als 100 Kilometer entfernt. Auf meiner Etappe lag der „Lac Rose“, ein rosafarbiger See, dessen Interessenvertreter schon lange um einen der begehrten Plätze der UNESCO Weltkulturerben kämpfen. Erst einmal jedoch musste ich den langen Klauen der Riesenmetropole entkommen. Augenblicklich merkte ich, wie sich die Aufmerksamkeit gegenüber meiner Person änderte. Was musste das für ein Verrückter sein, der mit Lenkertasche, zwei Radtaschen, Trinkflaschen am Rahmen und Campingausrüstung durch die Stadt radelte? Mir gelang es trotz Nieselregen recht schnell den Blicken zu entkommen, in dem ich auf die Schnellstraße am Stadtrand gelangte. Von hier aus kam ich zügig voran, denn die Straße war zu Teilen noch für Autos gesperrt und ich hatte freie Fahrt. Zu meiner linken sah ich den Strand mit vielen Pirogen und zu meiner rechten alte aneinandergereihte Backstein- und Betonhäuser.

Gut dreißig Kilometer fuhr ich wie von der Tarantel gestochen, wahrscheinlich um es mir selbst zu beweisen, auf der einwandfreien Straße. Ich hatte einen eigenen Seitenstreifen, Alessandro Petacchis‘ Waden und noch jede Menge Wasser im auf dem Hinterrad errichteten Lagerraum. Die selten und mit großem Abstand an mir vorbeidüsenden Autos hätten mich nicht weniger stören können.

„So eine Straße bis Mboro“, träumte ich, da endete die Autobahn abrupt und mündete in einem sandigen Kreisverkehr. Aufgeschüttete Sandhügel blockierten zwei der vier Ausfahrten, die dritte war ein Sandweg und zurück wollte ich nicht. Da meine Karte mir nicht widersprach, folgte ich also dem Weg, der mir nicht nur einige Kilometer mehr, sondern auch einen denkbar schlechten Untergrund servierte: Manchmal wurde der Asphalt zu Sand, die Räder bohrten sich unmittelbar in den knetbaren Untergrund und ich musste schieben. Als bedeutete das Gewicht meines Rads nicht schon genug Anstrengung, verschwand bei diesem Schneckentempo naturgemäß auch der bislang angenehme Fahrtwind und mein Schweißaustoß verdreifachte sich folgerichtig. Ich kroch das erste Mal in eine kleinere Ortschaft hinein und die Leute begrüßten mich regelmäßig und freundlich beim Vorbeischieben.  Das Schöne am Schieben ist, dass man sich nicht mehr ständig die Frage stellt, wieso man das macht. Man hat sowieso keine Kraft mehr darüber nachzudenken. 

Zu meinem Glück war nicht der gesamte Weg zum See von gelben Mikrokörnern bedeckt und ich konnte meinen Zossen wieder besteigen. Am See angekommen, er überzeugte mich weniger aufgrund seiner Farbe, er war heute nämlich blau wie jeder andere, sondern eher durch seine einladende Ausstrahlung eines Pausenörtchen, ruhte ich mich aus. Ich aß meine Kekse und bekam umgehend Gesellschaft. Zuerst war es eine Herde Rinder, dessen Hirte sie von einem Wasserloch zum nächsten wies. Das Seewasser konnten die Tiere nicht trinken, enthielt es doch einen sehr hohen Anteil an Salz, dem der See auch seine, an guten Tagen, rosane Farbe verdankt. Nachdem die Rinder ihrer Wege zogen, gesellte sich ein vielleicht neunjähriger Junge zu mir und versuchte eine Konversation zu starten. Ich erzählte ihm etwas von meiner Reise, konnte ihn aber so gut wie überhaupt nicht verstehen und so lief unser Gespräch eigentlich nur darauf hinaus, dass er was sagte, ich ihm vermittelte ihn nicht zu verstehen und er es danach gleich nochmal probierte. Er war nicht der Einzige, der ein Interesse für meine Anwesenheit zeigte, und so kam ich ganz natürlich in die ein oder andere Konversation. Meist jedoch beschränkte sich das Gespräch auf die Kernfragen: „Wer“, „Woher“ und „Wohin“. Nie jedoch ein „Wieso?“

Nachdem ich meinen Weichkäse ausgetrunken hatte, ging es über eine gefestigte Schotterstraße, die den Fahrzeugen diente, das aus dem See gewonnene Salz abzutransportieren. Der nächtliche Regenguss hatte kleine Regenrillen in den Schotter gefräst und so glich die Fahrt der Benutzung eines Presslufthammers. Doch es sollte noch etwas unangenehmer werden. Die Straße wurde zu einer schlammigen Piste, teilweise komplett von vermoderten Pfützen durchsetzt. Nur am äußersten Rand konnte ich mein Fahrrad noch durch eine kleine lehmige Stelle ziehen. Einige fröhliche Salamander kreuzten mir dabei den Weg. Als sich einer dieser Wesen seitlich vor mir ausrichtete – er war wohl gerade dabei die Straße zu überqueren– begann er überrascht zu wanken.

„Ich fahr links vorbei“, rief ich, da verlagerte sich sein Körpergewicht ebenfalls auf die von mir aus gesehen linke Seite. Ich steuerte zögerlich nach rechts, doch auch in dieser Bewegung glich er meinem Spiegelbild. Nach peinlichen Augenblicken des Zögerns – wir guckten dabei ganz beschämt auf den Boden, kästen wir uns doch noch aus und jeder ging seiner Wege.

Verschwitzt, ausgelaugt und mit nur noch einem Liter Wasser in der Flasche erreichte ich wieder eine glatte, asphaltierte Straße. Diese sollte mich sogleich durch ein Örtchen mit Versorgungstellen und danach auf die Hauptstraße führen. Von hier waren es vielleicht noch 50 Kilometer, doch das Schwerste lag mittlerweile hinter mir. Lektion des Tages: Auf asphaltieren Straßen erlebt man wenig, doch sie bringen einen immerhin ans Ziel. Die fünf Kilometer Erdpiste nach der Mittagspause kostete mich nicht nur 90 Minuten, sondern auch fast all meine Energie. Die letzten 50 Kilometer radelte ich in zweieinhalb Stunden nieder.

Der Ankunftsort Mboro begrüßte mich mit einem unspektakulären, aber höchst erfreulichem Ortsschild. Küstennah, war er eingebettet in eine von Dünen und Savannen gelbgrün gefärbte Landschaft. Ab und zu reihten sich ein paar Palmen aneinander. In der kleinen Handelsstadt bewegt sich alles zwischen den am Meer aufgereihten Pirogen, den Anbaugebieten in den angrenzenden Feuchtgebieten und dem zentral gelegenen, bunten Markt.

Für heute beschränkte sich meine Aufmerksamkeit jedoch auf die Suche nach der Unterkunft, die ich mir noch heute Morgen aus meinem Reiseführer herausgesucht hatte und siehe da: Volltreffer. Ohne Reservierung wurde ich wahnsinnig freundlich empfangen, ich konnte mein Fahrrad sicher unterstellen und mein Zimmer bot alles, was ich jetzt brauchte: Ruhe. Die erste Etappe von 107 Kilometern war geschafft. Eine aus dem Bauch kommende Intuition, die irgendwo zwischen Selbstzufriedenheit und Faulheit pendelte, befahl mir, morgen einen Ruhetag einzulegen, um mich vor Ort umsehen zu können. Ich aß also noch entspannt Reis mit Hühnchen und fiel kurz darauf erschöpft in mein Bett.

Wohinnoch? ist ein Reiseblog, in dem wir mit ausgiebig Zeit die weniger beachteten Orte dieser Welt besuchen.

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