Senegal und Gambia

Zwei Unterschiedliche Begegnungen

Nach dem Frühstück überlegte ich mir, was ich mit dem Tag anfangen könnte. Da Wetter schien etwas wechselhaft, also entschloss ich mich in meiner Sturheit dazu an den nur fünf Kilometer entfernten Strand zu fahren. Ohne die 20 Kilogramm auf dem Hinterrad, fuhr es sich deutlich angenehmer. Beim Passieren ließ ich den Ort Mboro noch einmal genauer auf mich wirken. Es gab einige Hauptverkehrsstraßen, an denen sich ein reges Treiben beobachten ließ, sonst aber nichts was diesen Ort an sich unverkennbar machte. An den Straßenrändern, vor ihren Häusern, saßen die Mütter, oft nur ein Tischchen vor ihnen platziert, darauf fünf Limetten und eine Schale Nüsschen. Im Plausch mit ihrem Gegenüber verloren sie scheinbar ganz das Geschäft aus den Augen. Scheinbar, denn jeder leicht interessierte Blick lenkte ihre Aufmerksamkeit schnell wieder auf den bevorstehenden Handel, ohne dabei je hektisch oder aufdringlich zu werden. Die Männer hingegen wuselten wie Ameisen durch den Ort. Sachen wurden transportiert, Hände geschüttelt, Dinge erledigt. Zusammen ergab sich also ein reges Treiben, welches jedoch plötzlich sein Ende fand. Am anderen Ende des Orts angekommen, wurde der Nieselregen zu einem starken, strömenden Guss und ich verabschiedete mich vorläufig von meiner Strandidee. Mein Gastgeber empfing mich mit lautem Lachen und fragte scherzhaft, warum ich denn schon zurück sei. Eine Stunde später versuchte ich es dann erneut, diesmal mit mehr Glück auf meiner Seite.

Am Strand angekommen schob ich mein Fahrrad zuerst zwischen bunten Pirogen, Senegals Nationalsymbol, auf den Strand. Ich suchte mir einen Platz etwas abseits des täglichen Fischertrubels, breitete mein Handtuch aus und beobachtete den hohen Wellengang. Nicht unweit von mir spielten Kinder, die, sobald sie mich bemerkten auf mich zuliefen. Die vier Geschwister, angeführt und verbal vertreten von der Ältesten, fanden besonderen Gefallen an meinem Fahrrad und den ganzen Gegenständen, die daran baumelten. Nach dem Austausch einiger Floskeln, musste ich einsehen, dass das Gespräch aufgrund meiner mangelhaften Französischkenntnisse nicht sonderlich ertragreich war. Die große Schwester hingegen störte es nicht, dieselben Fragen immer wieder zu wiederholen, während ihr kleinster Bruder an meinen Bremsen spielte, ihre Schwester die bunten Fische auf meinem Handtuch bewunderte und der Vierte die Druckfestigkeit meiner Reifen untersuchte. Dass das Gespräch nicht endete, lag daran, dass noch jenes berühmt-berüchtigte „Donnez-moi!“, welches sich auf mein Handtuch bezog, folgen sollte. Fast schon zum Glück erhob sich im selben Moment eine Welle zu einer seit meiner Anwesenheit noch nie dagewesenen Größe und verschlang für wenige Sekunden unsere Füße, mein Handtuch, Teile des Fahrrads und zu guter Letzt auch mein Buch, welches durch den ruckartigen Stoß vom Fahrrad gefallen war. Als ob die Ausgabe von Don Quijote nicht schon dick genug gewesen wäre, sog sie das Wasser wie ein Schwamm auf und war mir fortan ein noch sperrigerer Reisebegleiter. Ich war gereizt und beschloss, dass ich hier wegmuss. Ich griff mein Fahrrad und schob es den Strand hinauf – jedenfalls versuchte ich es, denn es bewegte sich kaum fort und ich grübelte, ob es an dem nassen Sand oder an meinen dünnen Radlerärmchen läge. Selten war mir ein zügigerer Abgang wichtiger als heute, hörte ich doch noch einige Male ein fast schon verspieltes, aber in meinen Ohren schmerzendes „Donnez-moi, Donnez-moi!“. Nachdem ich in einer nicht zu übertreffenden Lächerlichkeit mein Fahrrad die ersten zehn Meter geschoben hatte, merkte ich, dass mein Schloss noch ums Vorderrad gezurrt war.

Da mein Gastgeber nicht mit einer so zügigen Rückkehr meinerseits rechnen konnte, hatte ich vor dem verschlossenen Scheunentor meiner Unterkunft die Gelegenheit, über meine erste unangenehme interkulturelle Erfahrung in Senegal nachzudenken. Mir fiel der Unterschied zwischen der Coolness der Erwachsenen und der tobenden Neugierde der Kinder gegenüber meiner Anwesenheit auf. Während mir in jedem Ort, durch den ich fuhr, die Kinder „Toubab!“, also „Weißer!“ in einer auch nach einem Kilometer noch unüberhörbaren Frequenz hinterherschreien, sitzen die Erwachsenen oft angelehnt an einem Baum im Schatten, nicken kurz oder entgegnen mit einem gelassenen „Ca va?“. Ich nahm mir vor auf meiner morgigen Etappe von 123 Kilometern offener gegenüber den Menschen und den Sachen, die sie mir anbieten zu sein. Es sollte sich auszahlen.

Zwischen mir und der längsten Etappe dieser Reise stand nur noch der Wettergott, der gerade Staatsbesuch in Senegal hatte; es war Regenzeit. Während ich ein leckereres Frühstück verzehrte, begutachtete ich die Wolken, die immer noch regnend über Mboro zogen. In der Hoffnung, dass sich die Lage besserte, verabschiedete ich mich von meinem Gastgeber, zeigte ihm noch den Eintrag über seine Unterkunft in meinem Reiseführer und fuhr los.

Meine Beine liefen rund, es war noch angenehm kühl und ich spulte gleich zu Beginn viele Kilometer ab. Der Regen hatte kurz nach meiner Abfahrt aufgehört und ich bewegte mich ausschließlich auf befestigten Straßen. Die Landschaft um mich herum war kahl, oft lag an den Straßenrändern Plastikmüll und hin und wieder fuhr ich an einem Esel vorbei. Von einer Hauptstraße sollte ich nach wenigen Kilometern und für den Rest der Etappe auf die Nationalstraße 2 begeben. Ich fand einen guten Rhythmus, schüttelte immer mal wieder meine Beine am Straßenrand aus oder machte in kleinen Ortschaften halt, um meine Vorräte aufzufüllen. Die Nationalstraße war stark befahren, da jeder, der von Dakar nach Saint-Louis reist auf diesen Weg angewiesen ist. Obwohl manche Senegalesen recht verrückt fuhren, hupten auch die Durchgedrehtesten bevor sie zum Überholen ansetzten und mein Seitenspiegel wurde mein neuer bester Freund.

Erschöpft von der mittlerweile drückenden Hitze und doch oft genug verzückt von einigen Landstrichen, stieg ich ab und zu vom Fahrrad, kramte in meiner Lenkertasche die Kamera hervor und hielt sie an meine linke Wange. Wie ein Biathlet am Schießstand versuchte ich meinen Puls zu beruhigen. Die Beine etwas breiter aufgestellt, schließlich hatte ich das Liegenschießen schon hinter mir, visierte ich einen Baum an und drückte ab. Klick, überbelichtet, klick, verwackelt. Ich kalibrierte noch einmal nach. Klick, Finger im Bild. Nur die letzten zwei Treffer saßen und ich begab mich schmollend in die Strafrunde.

Ungefähr 25 Kilometer vor dem Ziel hielt ich nochmal am Straßenrand an, um, ganz nach familiärer Tradition, Wasser und etwas Apfelschorle in meine Trinkflasche zu mischen. Hinter mir stiegen zwei junge Männer aus einem Auto, bemerkten mich und kamen auf mich zu. Einer von ihnen, er hieß Laba, war recht klein und trug wie viele hier ein Fußballtrikot. Das Wichtigste aber war, dass er Englisch sprach. Wir unterhielten uns nett und nach wenigen Phrasen bekam ich schon eine Einladung in sein Dorf. Ich reagierte zuerst ablehnend, dachte dann aber rechtzeitig an meine Gedanken von gestern Abend und willigte schließlich ein. Während wir vielleicht zwei Minuten lang querfeldein über den harten Sandboden liefen, erzählte mir Laba, dass dieses Dorf schon seit immer seine Heimat war und er hier für die Kinder als Lehrer arbeitete. Wir erreichten das Dorf, in dem vielleicht 40 Leute lebten. Es ist schwer zu sagen, wessen Augen in dem Moment größer und neugieriger geschaut haben: Die der vielen Kinder oder meine. Die Kleinen waren sehr überrascht über meine Ankunft und staunten nicht schlecht beim Anblick meines Equipments. Bevor ich richtig angekommen war, machte sich schon ein Mädchen auf, mir eine Decke zu holen und eine riesige Schüssel Reis mit Fisch hinzustellen. Ich fläzte mich auf die Decke und gesellte mich zu den Leuten. Laba spielte den Mediator und half mir dabei meinen Dank für die Gastfreundschaft auszudrücken. Explizit sollte ich Labas Vater, den Dorfältesten begrüßen.

Die Jungs und Mädchen kicherten bei gefühlt jeder meiner Bewegungen oder als ich sagte, dass ich keinen Fisch esse. Sobald ich anfing über Fußball und meine Lieblingsmannschaft zu sprechen, wurden vor allem die Jungs hellhörig. Trotz all der Neugierde und ganz anders als die Kinder gestern vom Strand, fasste niemand meine Sachen an, ohne vorher zu fragen. Ohnehin erregte mittlerweile meine Kamera, die ich passender Gelegenheit rausholte, um ein Foto von Laba und mir zu schießen, die Aufmerksamkeit der Anwesenden. Nach anfänglicher Skepsis wollte auf einmal jeder ein Bild mit mir und so entstanden schöne Schnappschüsse. Besonders gut in Erinnerung sind mir die farbenfrohen Kleider der Frauen geblieben. Ob in gelb, orange, grün, weiß oder violett: In jeder dieser Farben sahen sie beeindruckend ausdrucksstark aus. Ich bemerkte, dass vor allem die Mütter eine sehr starke Rolle in der Gesellschaft einnehmen. Seiner Mutter zu widersprechen, so wurde mir erzählt, wagt nicht einmal der selbstbewussteste Sohn und auch sonst hat ihre Stimme in vielen Bereichen des sozialen Zusammenlebens entscheidendes Gewicht.

Im Sitzkreis saß auch Labas Mutter, die ihre zwei kleinsten, von mir verängstigte Küken auf dem Arm hielt. Auch das kleinste Mitglied der Runde bekam schon die Haare geflochten, von einfachen Knoten bis hin zu Perlen und Bändern in den Haaren. Laba bot mir eine Übernachtungsmöglichkeit an, doch ich lehnte ab. Noch eine Weile hielt ich mich mit der Gemeinschaft auf, um dann meinen Abschied anzukündigen. Wir tauschten noch schnell unsere Kontakte aus, damit ich Laba und seiner Familie die Fotos zusenden kann und verabschiedeten uns kurz darauf. Laba brachte mich wieder zurück zu der Hauptstraße. Er erzählte mir, wie traurig alle waren, dass ich schon ging. Ich wiederum bedankte mich für seine unglaubliche Gastfreundschaft und fuhr weiter Richtung Louga. Ich war hocherfreut über die schöne Begegnung, die mir zeigte, dass ich nur meine Skepsis ablegen muss, um in Kontakt mit den Leuten zu kommen. Gleichzeitig bereute ich jetzt schon, das Übernachtungsangebot abgelehnt zu haben, schließlich stand diese Entscheidung gegen mein Credo von gestern, doch in mir überwog nach der langen Strecke der Wunsch nach Komfort und Sicherheit.

Der markante Ortseingang von Louga hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit einer typischen Ziellinie einer Tour de France Etappe und so konnte ich es mir nicht verkneifen kurz die Fäuste gen Himmel zu strecken und meine Ankunft zu bejubeln. Auch zwei Jugendliche freuten sich für mich und hießen mich mit „Bienvenue a Louga“ willkommen. Die Unterkunft „Casa Italia“, direkt am Ortsrand gelegen, erweckte schon gestern bei meiner Recherche meine Aufmerksamkeit. Ich checkte ein und sah mich einer erfrischenden Überraschung konfrontiert: einem Schwimmbecken. Ich warf mich sofort ins Blau und begab mich kurz darauf in das Restaurant des Etablissments.

Die Speisekarte, angelehnt an die italienische Küche, machte mich aufgrund einiger Rechtschreibfehler schon recht skeptisch, dubioser jedoch erschien mir der noch nach Mehl schmeckende Teig der Pizza. Runter bekam ich sie nach dem langen Tag dennoch. Auf dem Weg in mein Zimmer, passierte ich noch eben die Rezeption, an der ich mit der Besitzerin des Hotels, einer Senegal-Italienerin, quatschte. Sie befragte mich nach der Qualität des Essens, ich log und lobte die ausgezeichneten Speisen, verschwand auf mein Zimmer und hing meinen Kopf über die Toilette. Nicht ein Stück der Pizza hielt es in meinem Magen und ich hatte am meisten davor Angst, dass ich jetzt theoretisch wieder Hunger bekommen müsste.

Wohinnoch? ist ein Reiseblog, in dem wir mit ausgiebig Zeit die weniger beachteten Orte dieser Welt besuchen.

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