Frankreich

Ein Rundgang durch Montpellier

Wenn man bereits nach zwei Tagen regelmäßig bekannten Gesichtern auf der Straße begegnet, ist man entweder in den Beverly Hills oder in Montpellier. Wenn man, als Ausschlusskriterium, noch einen Haufen neoklassizistischer und Renaissancebauten hinzufügt, kann es sich eigentlich nur um die Stadt in Okzitanien, zehn Kilometer entfernt vom Mittelmeer handeln. Während eines einwöchigen Sprachaufenthalts in Montpellier hatte ich das Vergnügen die ehemalige Hauptstadt des Languedoc-Roussillon in ihrer Spätsommerblüte kennenzulernen.

Wenn man bereit ist seine Reise durch Montpellier anzutreten, wird man zwangsläufig auf dem „Place de la Comédie“, von der an den Fassaden gespiegelten Sonne geblendet, entlassen, um die Stadt zu erkunden. Dieser Ort, an dem das Opernhaus von der einen und der schattige Stadtpark von der anderen Seite die vielen Straßenmusiker umarmen, ist stets voll von Menschen, die kreuz und quer ihrer Wege gehen.  Die pompösen hausmannisierten Gebäude haben es sich erlaubt, kleine Lücken in Form von Straßen zu hinterlassen, durch die man in wenigen Schritten in die Altstadt gelangt. In jedem Winkel, der Schatten spendet, findet man Bars, in denen Kaffee geschlürft und Aperol gezischt wird. Im Ecusson, dem schildförmigen Bezirk, kreuzt man unweigerlich alles, was man im Baumarktkatalog für pittoreske Altstädte finden kann. Kathedralen mit angrenzendem Kräuter- und Pflanzengarten, den die Studenten schon seit Jahrhunderten für ihre Proben aufsuchen, aufgeklappte bunte Fensterläden, in die Fassade integrierte Blumenbeete und ganz viele Girlanden.

Im Garten, der heute vor allem von im Schatten lesenden Menschen bevölkert wird, findet man Pflanzen in Form von Duschköpfen, verwachsene Tümpel, die so grün sind, dass sie als englischer Rasen durchgehen würden und einen Bambuswald, der in Montpellier seinesgleichen sucht. Ich frage eine junge Dame, ob auf der Bank neben ihr der Platz noch frei ist und werde so schief angeguckt, dass ich fast umkippe. Ist mein Französisch so schlecht? Nach drei Sekunden habe auch ich verstanden: Es ist eine Mitstudentin aus der Sprachschule, die ich gestern kennengelernt habe und die nun denkt ich würde sie, mit meiner Art sie wie eine fremde Person anzusprechen, veralbern. Montpellier ist ein Dorf.

Verlässt man aus Versehen den Ecusson, landet man höchstwahrscheinlich am Triumphbogen, der den Eingang in ein Miniaturversaille, der Promenade de Peyrou, einläutet. Hier prallen die Sonnenstrahlen so stark vom Marmor ab, dass es für die Augen deutlich angenehmer ist in den erbarmungslos wolkenfreien Himmel zu blicken. Ein Wassertempel im neoklassizistischen Stil und ein heute leeres Aquädukt, beides Monumente, die vermuten lassen, Montpellier sei eine einstige Römerstadt, markieren das Ende des kleinen Parks. In Wahrheit jedoch, erblickte die Stadt erst kurz vor Ende des ersten Jahrtausends unserer Zeitrechnung das Licht der Welt, als Handelsstadt im Mittelmeerraum.

In Montpellier bietet es sich einfach an sich zu verlaufen, denn man kommt ohnehin irgendwann wieder an einem bekannten Ort raus. So zum Beispiel am Anfangsort, dem Place de la Comédie, wo die Chance mindestens einen meiner Mitstudenten zu treffen bei mehr als 90% pro Tag liegt. Geht man von hier aus in die entgegengesetzte Richtung, entlang der Rolltreppen einer klimatisierten Einkaufshalle, wird man überrascht sein, wo dieses Haus des Konsums, das Polygon, einen auswirft: Inmitten eines pompösen, griechisch-antiken Bezirks, dem Antigon. Anders als die Bauwerke vermuten lassen, wurde dieses Quartier erst in den 80ern erbaut und ist Teil des Plans die Stadt in Richtung Meer auszudehnen. Sich zu verlaufen, fällt einem im symmetrischen, wie an einer durchgehenden Achse gespiegelten Antigon deutlich schwerer. Die Straßen sind gesäumt von meterhohen Fassaden, Säulen und Bögen. Hin und wieder kreuzt sich mein Blick mit dem strengen Blick eines Zeus, dem beschwipsten eines Dionysos oder dem anmutigen einer Athene, allesamt in Marmor gemeißelt.

Ungefähr einen Kilometer spaziert man durch die majestätische Promenade, an dessen Hauptplatz sich sonntags ein kleiner Markt befindet, bis man schlussendlich an der Lez, dem Fluss Montpelliers ankommt. Hier, in einem beindruckenden, halbmondförmigen Gebäude, dass zuerst wie ein Verwaltungsgebäude der Sowjetunion wirkt, leben seit jeher Menschen unterschiedlichster Einkommensstufen, damit der Bezirk, nicht wie einst im antiken Griechenland, nur von Aristokraten bevölkert wird. Steht man an der fast leeren Lez und schaut hinüber zum baumartigen, weißen Luxushaus auf der anderen Uferseite, ist es gar nicht weit bis zu meiner Unterkunft bei meiner äußert gastfreundlichen und kommunikativen französischen Gastmutti, die sich nicht nur durch ein ausgezeichnetes, nahrhaftes Frühstück, sondern auch durch einen großen Wissensschatz über die Region bei mir beliebt machte.

Mein Alltag spielte sich in der vergangenen Woche ungefähr in diesen von mir oben beschriebenen Grenzen ab. Ich lief jeden Tag an der Rue de la Méditerranée entlang zur Schule und lernte von neun bis zwölf mit anderen Studenten Französisch. Praktisch, da ich gezwungen wurde früh aufzustehen, den Tag mit etwas produktivem zu beginnen und dann noch genug Zeit für einen entspannten Tag in Montpellier und seiner Umgebung mit meinen Kameraden zu verbringen. So fuhren wir zum Beispiel an den Lac du Cres, einem warmen, canyonartigen wo mich ein sechzehnjähriger Spanier zum Wettschwimmen herausforderte und somit fast meinen Tod nach Ertrinken herbeigeführt hätte. Tags darauf fuhren wir mit dem Fahrrad zum plage du grand travers, dem wohl schönsten Strandabschnitt in der Nähe Montpelliers.

Ich besuchte auch nahegelegene Städte wie Nîmes, einer alten romanisch-gallischen Stadt mit einem erstaunlich gut erhaltenen Amphitheater, Tempel und einem Krokodil-Palmen-Wappen, welches die Bürger bis heute an die erfolgreiche Expansion des römischen Reiches nach Ägypten erinnert.

Damit der Westen nicht zu kurz kommt, erkundeten wir, bei orangener Wetterwarnstufe, die Hafenstadt Sète, mit ihrem fast schon italienisch anmutenden Kanalflair. Jedoch, die Stadt, zwischen dem Meer, Seen, Hügeln und Stränden gelegen, wirkt vom Aussichtspunkt des Hügels weit schöner als aus der Froschperspektive eines 1,86 Meter kleinen Erdbewohners. Der Tag wird mir wohl dank einer angehenden kolumbianischen Biologin, die, ohne zu zögern, in eine stachelige Kaktusfeige biss, in Erinnerung bleiben. Noch heute, einen Tag darauf, finde ich, der es ihr gleichtat, ab und zu kleine faserige Stacheln in meinen Fingern und in meinem Zahnfleisch. Die meisten Abende endeten draußen, an den Tischen einer der vielen Bars des Ecussons, wo man nicht selten, ganz zufällig, seine Mitstudenten wiedertraf. Montpellier ist eben ein Dorf.

Nach einer knappen Woche ist es Zeit meine Sachen zu packen. Es geht weiter nach Carcassonne und Toulouse, wo meine Südfrankreichreise enden und meine Anreise nach Albanien durch den Norden Italiens beginnen wird. Was bleibt hängen? Die Überzeugung, dass ich ab jetzt häufiger und dabei auch längere Sprachaufenthalte machen möchte. Und: Montpellier ist ein Dorf – ein Schönes.

Wohinnoch? ist ein Reiseblog, in dem wir mit ausgiebig Zeit die weniger beachteten Orte dieser Welt besuchen.

Kommentar verfassen

Translate »
%d Bloggern gefällt das: