Peaks of the Balkans Wanderung Teil 1 – Mit Feta über den Valbona-Pass
Ich bin noch keine Stunde gewandert und schon stehe ich mit nassen Sachen an einem leicht bewölkten Sonntagmorgen im Wald, auf meinem Rücken ein schwangerer Elefant. Doch alles der Reihe nach: Die erste Etappe der Peaks of the Balkans Wanderung sollte mich von Theth über den Valbona-Pass auf 1800m Höhe und dann ins Valbona-Tal bringen. Nach einem ausgiebigen Abendbrot mit Omelette, Feta und vielen weiteren Reisenden, die in überwiegender Mehrheit für einen Tagesausflug angereist sind, folgte eine Ukulele Jamsession und schließlich die Nachtruhe.


Es ist schon eigenartig, dass ich im Urlaub früher aufstehe als während meines gewöhnlichen Berliner Alltags. Um 7 Uhr saß ich also schon im Speisesaal und verzehrte Brot mit Feta, Tomaten, Gurken, Feigenmarmelade, ein Ei und warmen Tee. Außersaisonales Essen gibt es hier in den Bergen nicht. Ich schnallte mir meinen Rucksack um, lief noch einmal durch den Ort mit seiner kleinen Kirche und seinem Kulla, einen dieser Steintürme, die früher zum Schutz gegen drohende Blutrache dienten und sah zum ersten Mal jene rot-weiße Streifenmarkierung, die für die nächsten zwei Wochen mein treuer Reisebegleiter sein wird.

1. Etappe: Thethi nach Valbona
Die Etappe begrüßte mich direkt mit einem Anstieg von tausend Höhenmetern, ohne dabei jedoch monoton zu wirken. Zuerst ging es über einen Bergbach in waldiges Gebiet, durch welches sich der Weg in Schlangenlinien wendete. Später öffnete sich eine Lichtung mit auf frühere Ortschaften hindeutenden Mauerresten und blauen Beeren, von denen ich wünschte, es wären Blaubeeren gewesen. Die ansprechende Ästhetik minderte jedoch nicht die Anstrengung, die ich aufbringen musste, um den Pass zu besteigen. Ich bereute sofort, dass ich wieder einmal zu viel Gepäck mitgenommen habe, da ich zu wenig Aufwand in den Erwerb von Multifunktionskleidung gesteckt habe. Doch gegen die Anstrengung gibt es Abhilfe: Pausen.


An einer Holzbar genoss ich einen Tee und das jetzt schon ersichtliche Bergpanorama. Ab hier kamen mir die ersten Wanderer entgegen, die schon sehr früh morgens in Valbona aufgebrochen sein mussten, um jetzt schon beim Abstieg nach Teth zu sein. Darunter ist unter anderem auch meine Zimmerpartnerin aus Shkodra, die mich mit dem Satz „Only 10 more minutes“ zu motivieren wusste. 100 Höhenmeter später stand ich dann auf Messers Schneide, am Qafa e Valbones.



Der Valbona-Pass ist zwar noch nicht über der Baumgrenze aber doch schon deutlich karger, denn hier weht ein raues Lüftchen. Die Präsenz deutscher Wandertouristen ließ sich hier nicht nur an den „Schön!“ Rufen erahnen, sondern machte sich auch schon an den Stickern am Wegweiser bemerkbar. Halb wandernd, halb kletternd konnte sich hier ein jeder seinen Lieblingsplatz für ein Reiseblog- oder Instagram-taugliches Foto suchen. Die Kälte ließ mich jedoch nicht lange an diesem Ort verweilen, außerdem freute ich mich schon seit dem ersten Höhenmeter auf den Abstieg.


„Süß, ist das dein Hund?“ „Welcher Hund?“

Anscheinend hatte ich schon seit einigen Minuten einen leisen Begleiter hinter mir, dessen Anwesenheit ich erst durch mir entgegenkommende Wanderer aufgefallen ist. Der weiß-braune Hund mit braunen Kulleraugen, den ich als Experte rassentechnisch irgendwo zwischen Chihuahua und Bulldogge einordnen würde, begleitete mich fortan über die schroffen Steinwege, durch den Zick-Zack Abstieg ins Valbona Tal, bis zur grünen Wiese mit dem großen Sitzstein und kleinen, verstreuten Setzlingen. Doch er hat es nicht einmal auf mein Essen abgesehen – stets wartete er in sicherer Entfernung auf sein neues Herrchen. Der Abstieg stellte sich als unproblematisch heraus und mein Rucksack wirkte gleich viel leichter. Während die ersten Wanderer, die mir heute entgegenkamen mit ihren ZIP-Hosen und abgemessener Wanderstockmontur ihre Passion noch einmal zu unterstreichen versuchten, kamen mir die letzten Passanten in kurzen Jeans und Alltagstop entgegen.



Einmal, als sich mir blökend eine Schafsherde näherte schrillten meine Alarmglocken, denn ich erwartete jede Sekunde einen blutrünstigen, zum Waden abbeißen trainierten Wolfshund, der meinen Hundi zum Frühstück verspeisen würde. Doch der hat sich mittlerweile ohnehin schon verkrümelt. Feigling.


Ich hatte Glück, denn die Herde war unbewacht und ich kam davon. Ich passierte einige Ruinen, lief mehrere Kilometer durch eine Steinwüste, vorbei an Heumuhmen, ein paar Pferden, die die Einheimischen hier als Transportmittel Nummer 1 benutzen und fand auf einmal sogar wieder meinen Hundi vor mir. Ein paar Kilometer noch entlang der Autostraße, hier wurde ich von einem wendenden Minibus leicht angeditscht, und ich traf in Valbona, bei einer von anderen Wanderern empfohlenen Unterkunft ein.



Ich badete kurz im Bergbach, wobei meine Füße schon abstarben bevor mein Oberkörper überhaupt die Chance hatte ins Wasser zu tauchen. Wie schon gestern wurde ich in aller Freundlichkeit empfangen, genoss köstliches Essen, dieses Mal eine Kartoffelsuppe und tauschte Erfahrungen und Lebensgeschichten mit ebenfalls dort nächtigenden Wanderern aus.



2. Etappe: Valbona nach Cerem
Die nächste Etappe, ich hatte nachts von mich attackierenden Bären geträumt, sollte die kürzeste und leichteste auf dem Weg sein. Zuerst lief ich einige Kilometer entlang der Straße, an der mich ein junger Mann aus dem Auto heraus ansprach und mir das Haus seiner Familie in Cerem, meinem heutigen Ziel, ans Herz legte. Ich machte kurz halt in einem Hotel und belegte, Tee trinkend, meine Kurse für das neue Semester. Wer weiß, wann ich in der Woche nochmal die Gelegenheit dazu haben werde.
Links vor der Brücke in den Wald hinein, begann der Wanderweg erst so richtig. Durch ein dichtes Netz grauer Zweige marschierte ich entlang eines steilen, erdigen Abhangs, der ab und zu dem Gewicht meiner Füße nachgab und bröckelnd einige Klumpen ins schluchtartige Niemandsland unter mir entsendete. Ich verfehlte den richtigen Weg an einer von Lawinen mit Steinen und Baumstämmen gefüllten Rinne und klettere die erdrutschgefährdete Rinne hinauf, anstatt seitlich einen wesentlich angenehmeren Weg einzuschlagen. Jeder meiner auf allen Vieren gesetzten Schritte löste eine kleine Lawine unter mir aus und ich hatte größte Mühe mich dieser nicht anzuschließen. Hier bewies sich wieder einmal: Wurzeln sind des Wanderers Feind, aber des Bergsteigers Freund, denn ihre Verankerung im Boden rettete mir ein ums andere Mal das Weiterkommen. Es ging ohnehin nur noch nach oben, denn jeder Versuch wieder hinabzusteigen hätte mich auf schnellstmöglichem Wege kopfüber ins Tal geführt. Endlich erreichte ich schweißgebadet den eigentlichen Pfad. Ab hier entschied ich mich für die gemütlichere Variante und setzte meinen Marsch über den dünnen braunen Streifen fort.



Der heutige Weg ging entlang einer Wiese, die laut meinem schlauen Reiseführer voll von wunderschön bunten Wildblumen sein sollte – im September jedoch erschloss sich mir ihre einstige Pracht nur noch in ihren von der Sonne verbrannten, staubig weißen Kadavern. Anders als auf vorherigen Reisen, ließ ich mir genügend Zeit, um den Weg zu genießen, legte also lieber eine Pause zu viel als eine zu wenig ein.



An einem Wasserwerk angekommen, war es nicht mehr weit zu meiner Unterkunft im wundersam stillen Cerem. Womöglich liegt es an der Mittagshitze, doch der Ort wirkte zwischen den mächtigen Bergen wie festgeklebt. Vereinzelte Hütten, ein ohne jegliche Verzierungen ausgestattetes Denkmal und viele Ruinen zeugen vom bescheidenen Leben der 200 im Ort lebenden Bewohner.



Ich entschied mich tatsächlich für die Unterkunft, die mir heute Morgen vom jungen Mann empfohlen wurde, und fand mich auf einem schnuckeligen Bauernhaus mit Gemüsegarten, Kühen, Pferden, Hühnern und was man sonst noch braucht zum Überleben wieder. Während ich den Blogeintrag schrieb, fielen neben mir immer wieder ungenießbare, weil in zu hoher Höhe wachsende Birnen und köstliche Zwetschgen von den Bäumen über mir. Das bäuerliche Leben meiner Gastgeber verläuft im Rahmen sehr konservativer Wertevorstellungen, das merkte ich sofort. Die Frauen melkten die Kühe, buken das Brot, erledigten die Wäsche und kochten das Essen, während der Familienvater das Geld sowie das Lob einsackte. Ich fragte ihn was genau in dem köstlichen Brot sei…falscher Ansprechpartner. Die Einzigen glücklichen auf diesem Hof schienen er und seine beiden großen Söhne, die nur für ein paar Wochen hier sind zu sein. Als mein deutscher Reisebegleiter den kleinsten Sohn fragte, was er lieber mag, Schule in Kosovo oder Sommer in den Bergen, kam die Antwort schneller als erwartet heraus: „Schule!“.


In den letzten Unterkünften habe ich jedoch auch ganz anders geführte Haushalte gesehen, in denen entweder die Männer genauso mitschufteten, oder die Frauen gleich den Hut aufhatten. Ich lasse mir einfach noch etwas Zeit, um mir ein Urteil über die Lebensweise der Menschen hier zu bilden, denn jetzt zieht ein kleines Nachmittagsgewitter auf und ich verziehe mich lieber in mein Zimmer. Gleich wird es ein schmackhaftes Abendessen mit einem Kartoffel-Reis Gemisch geben und danach werden wir, zwei weitere Wanderer und die Söhne des Gutsherren noch ein bisschen um das Lagerfeuer sitzen, reden und den Sternen beim Leuchten zusehen.


2 Comments
Jeanine
Sieht super schön aus! Freue mich auf deine Berichte, wenn wir uns Wiedersehen ☺️
PS: Hauptsache die Ukulele ist am Start 😄
André
Bestes Geschenk!