Erfahrung WWOOFING Sizilien – Opiumabhängiger klaut Kettensäge und Gewehr
Eigentlich hatte ich nicht vor über meine Sizilienreise zu schreiben. Doch nach dem, was während meines WWOOFINGS auf dem Landgut einer italienischen Familie passiert ist komme ich nicht herum euch dieses Mal von den Schattenseiten des Reisens zu berichten. Es geht um den Auto- und Waffendiebstahl eines französischen Wwoofers, den ich hautnah miterlebt habe.
Part 1 – Wie alles begann
Fangen wir von vorne an. Mein Wunsch war es, durch landwirtschaftliche Arbeit auf einem Familienhof Siziliens der Natur wieder näherzukommen. WWOOF Italia ist dafür die perfekte Plattform. Im Tausch gegen halbtägige Farmarbeit nimmt man kostenlos teil am Leben einer italienischen Gastfamilie.



Bei meiner Ankunft am Freitag entpuppte sich meine Wahl als Glücksfall: 50 Minuten entfernt vom nächsten Bahnhof lag friedlich und einsam der Hof von Paolo und Chiara*. Bei der herzlichen Begrüßung sprangen mir auch ihre zwei kleinen Töchter sowie die drei Hunde entgegen. Komplettiert wurde die Gesellschaft von zwei weiteren Wwoofern, Leo aus Deutschland und Marius aus Frankreich. Bei einem Käse, Oliven und einem Glas Wein ließen wir den Abend ausklingen.
Die nächsten zwei Tage verliefen genau wie ich sie mir vorgestellt habe. Fern von unseren Handys halfen wir auf dem Acker und aßen im Gegenzug Canoli und Co. Am Sonntagnachmittag schließlich fuhren die Familie und Leo für zwei Tage nach Palermo und ließen mich und Marius allein auf der abgeschiedenen Farm zurück. Hier sollte das Unheil beginnen.
Part 2 – Das Verbrechen
Wenige Stunden nach der Abfahrt setzte ein stetiger Regen ein. An Arbeit war somit nicht zu denken. Marius und ich nutzten also die Zeit, um uns besser kennenzulernen. Gemeinsam fuhren wir mit Paolos Land Rover den er uns für die Arbeit überlassen hatte, über die Erdstraße runter zu den Eseln oder hin zu den Feldern, wo wilde Mohnblumen wuchsen. Diese hatte er im Plan sie in zwei Tagen zu konsumieren vorsorglich angeschnitten. Es war ein kurzer Moment, der mich stutzig machte.
Am nächsten Tag, Montag, sah ich nicht viel von ihm. Er war wieder mal im Museum bei der süßen Italienerin. Ich nutzte derweil die Zeit für mich und spazierte durch die menschenleere Landschaft. Hier waren wir wirklich komplett alleine. Am Abend trafen wir uns wieder und setzten unser offenes Gespräch über unsere Leben fort. War der Franzose auf Englisch noch zurückhaltend, so blühte er jetzt, wo er in seiner Muttersprache reden konnte, auf.
Im Knistern des Kaminfeuers verriet der 29-Jährige, dass er sich seit seiner Schulzeit mit Gelegenheitsjobs in allen möglichen Ländern über Wasser hielt. Ein Zuhause gab es für ihn nicht mehr, die Familie war zerbrochen. Müde vom tiefgründigen Sinnieren verabredeten wir uns für den morgigen Tag um 9 Uhr in der Küche und wünschten uns eine gute Nacht. Ich sollte Marius nie wieder sehen.
Wie abgemacht stand ich um 9 Uhr in der Küche. Marius war nicht da, schlief vielleicht noch. Nachdem ich mein Frühstück gegessen hatte, sah ich mich auf dem Hof um und merkte, dass das Auto fehlte. Anscheinend war er schon ins Dorf gefahren, vielleicht ins Museum zu seiner Italienerin. Verständlich, denn an Arbeit war weiterhin nicht zu denken. So verbrachte ich also auch diesen Tag auf dem Hof, fütterte die Tiere, las.

Die Stunden verstrichen und von Marius war noch immer keine Spur. Ich telefonierte mit Paolo, der sich ebenso über seine Abwesenheit wunderte. Auch er erhielt auf WhatsApp keine Antworten mehr. Langsam wurde die Situation unheimlich. Mit deutlich Verspätung brach sich dann endlich das Scheinwerferlicht in den Regentropfen am Fensterglas und kurz später stand nicht Marius, sondern Paolo vor mir. Im Gepäck hatte er zwei Peruaner, die uns morgen auf dem Feld helfen sollten.
„Mi sembra strano“ entgegnete mir Paolo bei unserer Begrüßung. Ohne Umschweife ging er zu seinen spirituellen Devotionalien, hielt inne und starrte mich dann mit Stielaugen an: „Ich weiß was passiert ist“. Sofort stürmte er in das Zimmer von Marius. Was wir vorfanden war ein einziges Chaos. Der Boden war bedeckt mit Mohnblumen und Tabak, auf dem Bett lag Klebstoff. Das Einzige was fehlte war sein Rucksack. Weiter in seinem Schlafzimmer bemerkte Paolo das Fehlen mehrerer Wertsachen und Schlüssel. Zuletzt durchsuchte er den Schuppen und stellte fest: Es fehlte auch die neue Stiehl-Kettensäge und das Luftgewehr.
Sofort schossen mir tausend Gedanken durch den Kopf. Drogensucht. Diebstahl. Suizid? Kommt er wieder? Mit dem Gewehr? Ich hatte Angst. Wir beschlossen, dass die Peruaner auf der Farm bleiben und wir zwei zu den Carabinieri im Nachbarort fahren würden. Auf der Fahrt zog sich mein Bauch so stark zusammen, ich musste mich fast übergeben – doch nicht wegen der Kurven, sondern aus Nervosität. Wie aufgebrachtes Vieh stürmten wir kurz darauf mit unseren Schlammschuhen über den Marmorboden der Polizeistation und schilderten die Situation. Mehr als den Fall aufnehmen und Streifen fahren konnten sie jedoch nicht.
Es half nichts, wir mussten zurück zur Farm. Dort übernachten. Natürlich dachten wir uns, dass ein Diebstahl das wahrscheinlichste Szenario war. Jetzt erst begriff ich auch, warum er das Auto gestern leicht anders, hinter dem Haus geparkt hatte. Oder mich ein zweites Mal fragte, ob ich nicht doch noch Wein möchte. Nicht auszumalen aber was passieren würde, wenn er heute Nacht bewaffnet zurückkäme.
Die Nacht verlief mäßig. Während die Peruaner einen tiefen Andenschlaf schliefen, war auch Paolo mithilfe einer Beruhigungstablette eingedöst. Sein Schnarchen klang wie das entfernte Aufheulen eines Motors. Oder einer Kettensäge. Ich dagegen musste ständig aufs Klo und dabei immer wieder über den finsteren Hof. Nachdem ich mich müde gelaufen hatte, döste auch ich endlich ein.
Bei Tageslicht sah die Welt dann anders, aber nicht zwingend besser aus. Im Wwoofing Portal hatte Marius sein Konto gelöscht und war damit unauffindbar. Wo mochte er wohl sein? Ist er nach Kalabrien? Mit der Fähre von Palermo nach Spanien? Oder streifte er noch immer durch die umliegenden Dörfer? Ich entschied mich aus Selbstschutz dazu, meine Sachen zu packen.

Auf dem Bahnsteig überkamen mich die Gefühle. Abgesehen von dem materiellen Schaden fühlten wir uns verraten, benutzt und verletzt. Das Grundvertrauen der Gastgeber, von dem ich als Reisender mein ganzes Leben profitiert hatte, wurde von einer Person zerstört. Nie wieder wird Paolo zum Leidwesen zukünftiger Reisender seine Gäste so beherbergen. Das Böse, es hatte obsiegt. Und mich überfielen die Fragen. Wie konnte ich mich von einer Person so täuschen lassen? Wie hätte er reagiert, wäre ich während des Diebstahls aufgewacht? Und: War die Geschichte jetzt vorbei?
Part 3 – Die Aufklärung
Sie war es noch nicht. Einen Tag nach meiner Abfahrt bekam ich ein Foto zugesendet. Ich traute meinen Augen kaum. Darauf steckte das Auto schlammbesudelt zwischen den schmalen Wänden einer italienischen Kleinstadttreppe fest. Die Spiegel waren zerschlagen, Marius auf der Flucht im Wald.

Einen Tag später dann die Auflösung. Marius wurde festgenommen und verhört. Paolo und Leo standen ihm noch einmal gegenüber, doch schauten nur in leere Augen. Kein Zeichen von Reue. Die Videoaufnahmen vom Hof sprachen da eine deutlichere Sprache. Auf ihnen war zu sehen, wie Marius um 2:15 nachts die Zimmer durchwühlte. Die Säge und das Gewehr waren da schon lange im Auto.
Die privaten Aufnahmen jedoch durften der Polizei nicht als Beweis dienen. Und da sie nicht sahen, wie er aus dem Auto ausstieg, könnten sie nun auch keine rechtlichen Schritte einleiten. Im Gegenteil baten sie Paolo Marius wieder bei sich aufzunehmen. Die Farce war komplett. Marius gelangte schließlich wieder auf freien Fuß. Er hinterließ ein Gefühl der Verzweiflung. Das kaputte Auto, die fehlenden Wertsachen, das Trauma – das war alles nicht sein Problem. Am Ende offenbarte mir Paolo am Telefon, dass er sich nun bei solch einer Wild-Western-Gesetzgebung Sorgen mache; vor den ganzen Migranten. Unter den schlimmen Taten einer Person würden also mal wieder die Falschen zu leiden haben.
*Namen geändert
Was denkt ihr?
Wie hättet ihr euch in einer solchen Situation verhalten? Wart ihr schonmal in einer ähnlichen Situation? Wie viel Grundvertrauen schenkt ihr Personen, ab wann wärt ihr skeptisch geworden? Und was nehmt ihr aus einer solchen Geschichte für euch mit?
Schreibt es mir gerne in die Kommentare, ich freue mich über jeden einzelnen Beitrag.
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