Peaks of the Balkans

Peaks of the Balkans Wanderung Teil 3 – Berggewitter und Mörderhunde

Abendessen im Gasthaus Kulla. Eines der vielen Gerichte kommt in einer braunen Ofenschale daher und ist auf dem ersten Blick schwer identifizierbar. Ich frage nach. Milch, Ei und…hier stockt meine Gastgeberin und auch ihre Kinder wissen die Vokabel nicht zu übersetzen. Während frühere, Pre-Internetgenerationen sich mit dem unzureichend artikulierten Rezept zufriedengeben mussten, liefert uns das weite Netz heutzutage mit seinen unbegrenzten Möglichkeiten Übersetzungsmaschinen, die nur darauf warten ihre Fähigkeiten unter Beweis stellen zu können. Nun was ist also die letzte, entscheidende Zutat? Die Maschine rödelt. Das Ergebnis: Gynäkologe. Zugegebenermaßen unerwartet, wer hätte schon gedacht, dass ein Gynäkologe mit Ei und Milch so gut schmecken kann.


Mein Pausentag

Mein Pausentag im Gasthaus war eine gute Idee. Ich war zwar nicht vollständig erschöpft, doch mich hat seit Tagen schon brennend interessiert, was die Gastgeber tun, sobald sich die Wanderer gegen 8 Uhr auf den Weg machen. Ich setzte mich also gemütlich auf die Holzbank und beobachtete das Treiben. Die Familie, bei der ich zwei Nächte blieb, betreibt, anders als viele vorher, keine Land- oder Viehwirtschaft. Stattdessen liegt der Fokus ganz auf den ankommenden Touristen. Heute kam der Vater, der sonst als Lackierer in der Peja arbeitet, vorbei, um mit Hilfe von Freunden Solarplatten an das Dach zu hämmern, denn das ist die einzige richtige Energiequelle in Milisevac. Nachts ist es düster.  

Der Tag dudelte dahin, ich spielte etwas mit den Söhnen, die später beide Architektur studieren wollen, Tischtennis und hatte dann das Vergnügen dem Jüngeren der beiden beim Aufgabeln von Touristen zu helfen. Nicht einfach, denn „unser“ Gasthaus liegt etwas versteckt auf einem kleinen Hügel und zieht, sehr zur Verärgerung der Gastmutter, viel weniger Touristen an als ein anderes, zentraler gelegenes. Wir waren wenig erfolgreich, außer mir hat sich nur noch eine sympathische Schweizerin für das Kulla entschieden. Umso familiärer ging es dafür beim Abendessen zu. Ich forderte den Sohn und die zwei Töchter zu einem Mensch-ärgere-dich-nicht-Duell heraus, was wahrscheinlich die schlechteste Idee ist, Sympathien zu gewinnen. Spaß gemacht hat es trotzdem.


Etappe 5: Milisevski Krsevi nach Reka Allages, Kosovo

Der Pausentag war vorbei und es ging mit Etappe Numero 5 weiter. Beim Wandern kommt ja bekanntermaßen der Kopf ein wenig zum Atmen und man hat alle Zeit der Welt, um über tiefgründige Themen nachzudenken. Doof nur, dass ich für ungefähr vier Stunden den folgenden Ohrwurm vor mich hinsummte:

„Ich will einmal nach Saarbrücken

Ja Saarbrücken wäre nett

Ich will Haare auf dem Rücken

Und ein rosa Himmelbett“

Anspruchsvoller durfte es nicht werden, dafür war die heutige Strecke zuständig. Wie immer forderte sie einem zum Anfang mit einer Steigung heraus. Es ging durch einen kleinen Latschenkieferwald, in dem es beständig nach meinem Lieblingsbadeschaum roch, bis zu einem See, der wie eine Oase in das Gebirge gesetzt wurde. Dazu so viele Enziane, dass man denkt, Heino hätte die albanischen Alpen besungen.

Bisher hatte ich selten Probleme mit Abstiegen, doch heute sollte der Weg runter nicht nur lange, sondern auch noch steil sein. Ohne Stöcker in den Händen rutschte ich einmal auf einem glatten Stein weg und fiel butterweich und in merkwürdiger Stille auf meinen Allerwertesten. Landschaftlich wurde es leider etwas öde, teilweise führte der Pfad sogar entlang einer asphaltierten Straße, die nur einmal mit einem kleinen Wasserfallpark für Abwechslung sorgte.

Kurz vor dem Zieleinlauf gönnte ich mir noch ein chemisch süßes Wassereis – genau das, was ich in dem Moment brauchte. Die Wahl der Bleibe für die Nacht fiel auf das erste Gasthaus Kosovos, betrieben von Mustafa Hakaj, seiner Frau und ihren Kindern.

Durch einen längeren Aufenthalt in der Schweiz sprach er ein niedliches Deutsch, welches sowohl von schweizerischen als auch von kosovarischen Betonungen ausgeschmückt wurde. Bei der Prominenz seiner Gäste – Delegierte der EU, USA, UN und GIZ – wäre ich mir regelrecht unbedeutend vorgekommen, wäre da nicht die bemerkenswerte Gastfreundschaft seiner Familie gewesen. In einem Gespräch erzählte er mir, dass viele der neuen, in der Natur gelegenen Gasthäuser, ohne die nötigen Papiere gebaut werden. Auf meine Frage, ob die Großbauprojekte mit Krediten finanziert werden, antwortete Mustafa mit einem für ihn typischen, schweizerischem „ganz sicher nicht“: Meist habe das Geld seinen Ursprung in illegalen Sektoren. Es wurde allerhöchste Zeit für ein riesiges Spinatbörek.


Etappe 6: Reka Allages nach Kucishtё

Tag 7 mit Etappe 6 war die längste auf dem Peaks of the Balkans Trail, dafür aber auch oft durch einfaches Gelände. Hier im Kosovo führt der Pfad mehr durch dichte Wälder als über spektakuläre Bergpässe. Obligatorisch war natürlich der Aufstieg ganz am Anfang der Etappe: 400 Höhenmeter, in denen das Frühstück noch nicht einmal im Magen angekommen ist.

Einige Minuten, bevor ich den höchsten Punkt erreichen sollte, passierte dann das, wovor ich mich die letzten 5 Tage gefürchtet habe: Ein Gewitter in den Bergen. Es nieselte erst nur kurz, sodass ich mir schon wieder Hoffnung auf Besserung machte, doch es war nur Teil des Spiels, welches die Wetterwolken mit mir spielten, denn kurz danach wehte ein rauer Wind Unmengen weiterer Regentropfen über den Hang. Noch gerade rechtzeitig fand ich Unterschlupf an einem Rastplatz, in den wenig später auch meine Mitreisenden eintrafen. Es fing bedrohlich an zu grummeln, doch wir hatten Glück, dass sich das Epizentrum des Gewitters wohl einen Hang weiter abspielen sollte.

Schnell fassten wir die Entscheidung weiter zu laufen, um in den Wald und schließlich zum Abstieg zu gelangen. Vor lauter Eifer fiel einer Berlinerin der Wanderstock in die pampige Pfütze vor uns. Gerade einmal 30 Minuten später wurde es noch einmal gefährlich. Wir waren gerade guter Dinge, das Schlimmste hinter uns gebracht zu haben, da schossen wie aus dem Nichts drei Bärentöter, aka Bluthunde, alias menschenfressende Todesbestien hinter einem Abhang hervor und standen plötzlich nur noch drei Meter vor uns. Mein Glück war, dass ich vor mir noch ungefähr 140 Kilogramm Frischfleisch in Form von zwei Berlinern hatte, in der Hoffnung, das würde den Tölen zum Vesper genügen.

Halb den Verhaltensregeln gehorsam, halb in Panik gingen wir ein paar Meter zurück und waren froh, dass das anfängliche Knurren in ein fast schon vergnügtes Schwanzwedeln umschwang. Doch bereinigt war die Gefahr erst, als ein alter Hirte in seine Wangenfalten kichernd auf uns zukam und seine Jungs beruhigte. Nach ihm tippelten dann 50 Schafe über den Feldweg. Da ist 100 Kilometer vorher nie etwas passiert und auf einmal standen die Hunde so nah vor mir.

Mittlerweile hatte der Regen aufgehört. Der Abstieg war wieder mal knackig, doch machbar. Der Weg führte uns durch einige Ortschaften, vorbei an Friedhöfen, Moscheen und mittelalterlich anmutenden, weil in Burgform gebauten Gasthäusern. Ein paar Kilometer vor dem Ziel zutschte ich meine erste der insgesamt drei vorhandenen Energiegels leer und fühlte mich fortan so, als wäre ich als Kind in den Kessel mit Miraculix‘s Zaubertrank geplumpst.

Als uns ein werkschaffender Herr auf eine Cola einlud, genossen wir wie so oft die im Kanun, dem traditionell albanischen Gewohnheitsrecht, verankerte Gastfreundschaft. Über den anderen Teil des Kanun, die Regelungen über Blutrachen aller Art, wurden uns glücklicherweise keine Lehrstunden erteilt. Auch trafen wir auf den Stammtisch der Braunbären, die sich hier wöchentlich darüber beraten, wie sie verwirrte Wanderer in ihren Bau locken. Der neueste Trick: Weiß-rote Kreise als Wegmarkierungen. Zwar sind die richtigen Markierungen in weiß-roten Streifen angebracht, doch grobe Bärentatzen erlauben nun mal keine geraden Linien.

Der Weg führte ein letztes Mal 300 Höhenmeter auf einer serpentinenartige Asphaltstraße in die Wolken und endete nach einem Schlussspurt in einem Gasthaus, welches wohl das größte und touristischste seiner Art auf dem Weg war. Wichtiger jedoch: Es gab heiße Schokolade.

Wohinnoch? ist ein Reiseblog, in dem wir mit ausgiebig Zeit die weniger beachteten Orte dieser Welt besuchen.

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