West-Kamerun aus dem Sattel: Bloß nicht Pferdreten
Das erste Mal, als ich auf einem Pferd saß, war ich fünf Jahre alt und gerade mit meiner Kindergartengruppe auf einem kleinen Ponyhof irgendwo im Osten Berlins unterwegs. Ich erinnere mich noch heute an die panische Angst, auf dem Pferd sitzend, von demselben angekackt zu werden, wie auch immer das Pferd das bewerkstelligt hätte. Nach weniger als einer Minute war die Reitstunde damals für mich beendet und ich schaute mit nassen Augen den anderen Kindern dabei zu, wie sie fröhlich herumgaloppierten. Na gut, irgendein Teil dieser Erinnerungen ist wahrscheinlich schon etwas verwaschen. Dafür erinnere ich mich noch ganz genau an das zweite Mal im Sattel gut 21 Jahre später und mit ähnlichen Emotionen. Es war vor einer Woche im hügeligen Umland Bafoussams, West-Kamerun.
Die Anreise
Von der größten Stadt Westkameruns setzte ich mich nach einem Spaghetti-Omeletti-Baguetti in den Kleinbus mit Fahrtrichtung Douala. Bis zur Abfahrt verging eine Stunde, schließlich verließ kein kommerziell betriebener fahrbarer Untersatz den Busbahnhof, bevor nicht auch alle Plätze besetzt waren. Der Regen sollte mir an diesem Donnerstag jedoch einen Strich durch die Rechnung machen, was vor allem dann zum Problem wurde, als ich in Bandja vom Bus auf das Motorrad umsteigen musste, um die Nonena Mountain Range zu erreichen, die ich mit ihren verschiedenen Holzhütten schmiegsam in die Landschaft eingebettet vorfand, für deren weiteren Charme ich jedoch vorerst kein Auge übrig hatte, denn: Ich kam von oben bis unten durchnässt an. Der feuchte Wind verfehlte seine erhoffte Wirkung, meine Sachen zu trocknen, ließ mich dafür aber in dieser Anhöhe von mehr als 1000 Metern ordentlich frösteln.

Die NoNeNa Mountain Range
Lediglich einen Tagesausflug vermutend, trug ich, um Gepäck zu vermeiden, nur die nötigsten Sachen und ein wenig Bargeld in meinem Rucksack, was sich nun als nachteilhaft herausstellen sollte. Die geschlossene Wolkendecke verriet, dass an eine Pferdewanderung heute nicht zu denken war, wodurch ich mich schließlich zu einer Übernachtung entschied und auf Besserung am morgigen Tag hoffte. Nach einer Preisverhandlung, die sich stark an mein im Portemonnaie befindliches Budget richtete, konnte ich mich immerhin an der dicken Decke im Zimmer aufwärmen. Zum Nachmittag begab ich mich wieder in den überdachten Außenbereich des Haupthauses mit Küche und großer Wohnfläche, die dieser Tage von zwei kamerunischen Familien belebt wurde. Es waren zwei Brüder, von denen der eine seit Jahrzehnten in Deutschland als Programmierer arbeitet, und der andere in Douala im Import für die unersetzlichen Motorräder Kameruns. Ihr Aufenthalt war kein Zufall, denn es ist in Kamerun Brauch, dass sich an diesem verlängerten Wochenende Familien an ihren Heimatorten zu großen Treffen zusammenkommen.
Der Regen hatte nachgelassen und so hatte ich Zeit, mich auf der Range etwas umzusehen. Die Range war an einem Hügel gebaut und von einem jungen Bamiléké, des ökonomisch so einflussreichen Volkes Kameruns errichtet worden. Die Bamiléké, ungefähr 10% der Bevölkerung, sind laut lokaler Meinung deswegen so einflussreich, weil ihnen eine ungewöhnlich hohe Arbeitsmoral zuzuschreiben ist. In Yaoundé und Douala gehören ihnen viele der neuen Gebäudekomplexe, mein Gastgeber Rodrigue jedoch investierte sein Geld in diesen ländlichen Hof. Ohne übergeordnete Struktur sind die Bungalows natürlich auf dem Hof verteilt und an den Rändern und außerhalb des Hofes wird Gemüse angebaut. Das Zentrum aller Beachtung jedoch ist die Stallung, etwas den Hügel hinauf. Hier kommen nachts ungefähr zehn Pferde, zwei Kühe und unzählige Hühner unter. Schlechter Internetzugang und Elektrizität nur zu ausgewählten Tageszeiten tun ihr Übriges, um eine von der Außenwelt etwas abgeschiedene Atmosphäre zu erzeugen, was den Anwesenden einen Anreiz mehr bietet, sich miteinander zu beschäftigen.
Ich hatte das große Glück, von der Familie mit ihrer großen Kinderschar zum Abendessen eingeladen zu werden und durfte mich dabei auch an französischem Käse und italienischem Wein erfreuen, der mir mehr als jedem anderen eingeschenkt wurde. Vermutet man bei einer so großen Anzahl an Kindern ein nicht zu vermeidbares Chaos, war ich doch beeindruckt von der anmutigen Grazie der Eltern, die zu den Kindern ohne übertriebene Strenge ein so gutes Verhältnis hatten, dass diese von ganz allein anfingen, den Tisch nach dem Essen abzuräumen. Nach dem üppigen Mahl verlangten unsere Körper eigentlich nur noch nach Schlaf, ein Wunsch, dem wir nicht allzu viel später nachkommen sollten. Mit Blick auf das nebelige Berghorn in weiter Ferne schlief ich auf dem Korbsessel ein, nicht wissend, dass ich morgen eben diesen im Sattel sitzend besteigen sollte.
Ausritt zu Rosse
Der Morgen graute und mit ihm legte sich auch der nächtliche Regen, der allerdings eine dichte Nebelwand als Andenken seiner selbst zurückließ. Mein Führer ordnete diese klimatische Begebenheit richtig ein und entschied so, dass nun die beste Zeit sei, mit der Wanderung zu beginnen, denn wo Nebel, da kein Regen. Ich entschied mich für den weißen Rappen Don Camillo, der zu den ruhigsten seiner Gefährten gilt und auch durch seine geringe Körpergröße für Anfänger nicht schwer zu besteigen ist. Mein Begleiter wählte den größeren Golden Boy, der also unsere Männerrunde komplett machte.



Unser Marsch führte uns durch das große hölzerne Eingangstor der Range hindurch und für mehrere Stunden erst entlang der Erdstraßen, die die über die Hügel verteilten Gemeinschaften verbinden, bis wir schließlich auf kleinere Pfade abbogen und schlussendlich über üppig grüne, hohe Wiesen ritten. Unsere Blicke richteten sich auf die vielen Maisfelder, die sich von der kürzlich erfolgten Ernte erholten und in deren Gefilden die Bewohner die Pflanzen für die Kommende vorbereiteten. Mein Zossen, dessen Name nicht so recht zu seinem unaufgeregten Gemüt passte (ich tendierte zu „Charles de Gaul“), ließ es sich dabei nicht nehmen, alles von den Menschen übrig gelassene in sein Maul zu schieben und mampfend zu verschlingen. Er war eher ein Jolly-Jumper-Abbild, so ein Pferd, welches, wenn man es zulangen alleine lässt, angeln geht.


In höheren Lagen angekommen, hörten wir das Aufeinandertreffen von Werkzeug auf Stein, welches durch die dicke Wand des Nebels wesentlich entfernter klang, als es sich tatsächlich herausstellen sollte. Denn schon wenige Augenblicke später offenbarte sich die Quelle jenes Geräusches in Form eines Steinbruchs, welcher in majestätischer Höhe das Grün der Hügel unterbrach. Der Bergarbeiter bat uns um eine Zigarette und schon nachdem wir uns nur einige Minuten entfernt hatten, hörten wir wieder das entfernte Hacken von Eisen auf Stein. Ich ließ mir sagen, dass das Material bereits für einige Verbindungsstraßen sowie für Häuser in der Nachbarschaft verwendet wurde, allerdings ohne staatliche Regelungen. Jeder hackt sich eben nach nachbarlichen Abmachungen seinen Teil aus dem Massiv. In anderen Teilen Kameruns kommt es dabei immer wieder zu tragischen Unglücken, wie zum Beispiel kürzlich in der Goldmine in Kadei.

Die Pfade verliefen nun serpentinenartig und so mussten wir uns in den ersten Gang schaltend, etwas weiter nach vorne lehnen, um nicht aus dem Sattel zu rutschen. Vor uns ergab sich nun ein Kessel, umgeben von grauem Fels, ganz so, als hätte jemand vor vielen Jahren hier die Schlucht eigenhändig aus der Natur geschlagen. Der Nebel tat sein Übriges der Stimmung einen mystischen Hauch zu verleihen und erinnerte mich ganz an die Nebelwanderung auf meiner letzten Etappe des Peaks of the Balkans Trail in Albanien. Wir stiegen ab und zapften die fahrbaren Untersätze an die Ladestation (Strom aus Biomasse), bis wir genug vom Staunen hatten.



Als dem so war, kehrten wir um, machten jedoch noch mal einen Abstecher auf den höchsten, leicht gezackten Punkt der Hügelkette, jenen, der sich gestern als letztes meinen sich im Schließen befindenden Augen gezeigt hatte. Aus entgegengesetzter Perspektive wurde mir der Blick auf mein Bungalow jedoch verweigert, zu dicht war der Nebel, um auch nur das Gras in 50 Meter Ferne zu erkennen.

Auch wenn sich hier an den meisten anderen Tagen im Jahr eine Rundum-Panorama Aussicht bot – einem Trapper-Trainee wie mir trübte das nicht die Stimmung. Nach kurzem Rekognoszieren der Umgebung ritten wir auf selbigem Wege zurück, diesmal die Beine nach vorne hebend und den Körper nach hinten lehnend. Die Kinder, an denen wir vorbeikamen, reagierten nicht anders als zuvor und guckten uns entweder mit großen Augen nach oder rannten mit “Cheval”-Rufen von dannen.


Erst als wir wieder durch das hölzerne Tor der Nonena Range trabten und ich mich ein letztes Mal vom Sattel schwang, fühlte ich, wie sehr das ganze Sitzen auf die Kniee gegangen ist. Es war Zeit für ein ausgiebiges Frühstück und wie es der Zufall so wollte, war die Familie gerade dabei, das Ihrige zu verspeisen und lud mich ein weiteres Mal ein, es ihnen nachzutun, was ich bei der aus Deutschland mitgebrachten Erdbeermarmelade schlecht ablehnen konnte. Auf dem Bordstein der Hauptstraße in Bandja sitzend, wartete ich schlussendlich auf den nächsten Bus, der mich für zwei Euro mit weit weniger Komfort und mehr Gerumpel und Geschüttel als auf Don Camillo nach Bafoussam bringen sollte.



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