Flugreisen und ihre Auswirkungen auf die menschliche Psyche
Man reist innerhalb von fünfzehn Stunden ans andere Ende der Welt und bequemt sich dann noch sich darüber zu echauffieren, dass die in den Lüften servierte Mahlzeit fad schmeckt. Flugreisen haben der menschlichen Spezies die Möglichkeit eröffnet, sein angeborenes Komfortbedürfnis auch in tausenden Metern Höhe, bei eisigen Temperaturen und rasender Geschwindigkeit auszuleben. Doch genau wie bei Busfahrten, die ich schon vor ein paar Monaten thematisierte, agiert unsereins im Umgang mit den veränderten Lebensbedingungen nicht immer souverän. In diesem Blogeintrag möchte ich erneut Erfahrungen teilen und den Menschen Handlungsempfehlungen für die Zukunft anbieten.
Jeder Mensch erlebt einmal im Leben seinen ersten Flug. Gott bewahre Sie jedoch davor, anderen Menschen, die gerade diese Erfahrung machen, zusehen zu müssen. Mir ist folgendes auf meinem Rückflug nach Deutschland gleich doppelt passiert. Neben mir saß eine hibbelige, gerade erst volljährige Teenagergöre, der ich selbst beim Herunterklappen des kleinen Bordtisches behilflich sein musste. Als Gegenleistung für die Hilfe verwehrte ich ihr staatsmännisch ihren Wunsch, bei ihrem ersten Flug am Fenster zu sitzen, denn eins ist klar: ICH WILL AM FENSTER SITZEN! Hinter mir bat derweil eine schluchzende ältere Dame pausenlos Jesus um Schutz vor einem Absturz und hörte damit selbst nicht auf, als ich versicherte, dass das Flugzeug das sicherste Verkehrsmittel sei und ihr sicherheitshalber Apollo 13 als Ablenkung auf ihrem Bildschirm abspielte. Selbst in ihrer Tiefschlafphase wisperte sie noch um Gnade.
Apropos Schlaf: Um im Flugzeug nicht zu verhungern oder zu verdursten, muss unbedingt verhindert werden, dass Mahlzeiten verpasst werden. Das Problem hierbei ist, dass die Esszeiten überhaupt nicht mit meinen alltäglichen Gewohnheiten korrespondieren: Abendbrot um ein Uhr nachts, Frühstück um vier Uhr morgens. Auf meinem Rückflug nach Kamerun, ich war endlich nach mehreren erfolglosen Versuchen eingeschlafen, warf die Stewardess mir mein Sandwich kurzerhand in mein verschlafenes Gesicht. Die physischen Spuren, die die gezackte Plastikverpackung auf meinem Gesicht hinterließen, sind zwar längst verheilt, die mentalen Folgen jedoch habe ich noch immer nicht überwunden.
Ein weiteres Problemfeld ist der Sitzkomfort. Hier dürfen erfahrene Fluggäste Erstreisenden gerne behilflich sein, ohne dabei aufdringlich werden zu müssen. Wenn die Person eine Reihe vor mir beispielsweise ihren Sitz zu weit nach hinten lehnt und mich damit in meinem Stolz kränkt, warte ich bis diese auf Toilette muss, um dann den Sitz wieder in seine angestammte Position zu bewegen. In den meisten Fällen bleibt der Unterschied unbemerkt. Einzig kann ich während der Wartezeit nicht einschlafen; die bevorstehende Nacht und Nebel Aktion lässt meinen Puls nach all den Jahren immer noch höherschlagen.
Kurz: Ich kenne keinen Zustand, in dem ich so inaktiv und dennoch so gestresst bin. Ich fühle mich wie eine Marionette, die von einem drakonischen Herrscher gelenkt wird – das ist meistens die Person mit der Kontrolle über das mächtigste Folterinstrument an Bord: Das Licht. Dabei haben wir allerdings noch gar nicht darüber gesprochen, dass die schlimmste aller Folterkammern gar nicht das Flugzeug, sondern der Flughafen ist.
Über Wartezeiten bin ich dabei schon längst hinweg. Wartezeiten empfinde ich mittlerweile als Chance; die Chance anderen Dingen nachzugehen, für die ich sonst keine Zeit habe. Zehnägel schneiden zum Beispiel. Das hat den zusätzlichen Vorteil, dass man von dem Flughafenpersonal schneller abgefertigt wird. Um mich am Terminal zu quälen, braucht es schon einfallsreichere Methoden. Der Flughafen in Yaoundé scheint dabei ein ganz besonders kreatives, bei Reality-Shows ausgebildetes Team zu beschäftigen.
An einem Montagmorgen erreichte ich den Flughafen in freudiger Erwartung. Ich hatte, in weiser Voraussicht, meine Füße die letzten drei Wochen nicht angerührt. Das zahlte sich gleich aus, denn die Bildschirme verkündeten eine dreistündige Verspätung. Erster Angriff abgewehrt. Als nach langer Wartezeit die Passagiere endlich zum Check-In gerufen wurden, trödelte ich zu der sich bildenden Schlange und reihte mich in derselben ein. Das Drängeln der anderen Passagiere nahm ich gelassen hin; am Ende würden wir doch alle im gleichen Flugzeug sitzen, oder etwa nicht?
Nein, würden wir nicht. Das Flugzeug, welches zum Abflug bereitstand, war leider bei der letzten Wäsche eingegangen und konnte nun nicht mehr die Anzahl an Passagieren mit Ticket transportieren. Zu allem Überfluss mussten auch noch zehn Militärs ganz dringend in den Norden des Landes und wurden daraufhin auf Kosten der anderen an Bord gelassen. Das Ergebnis: 21 erwartungsvolle Fluggäste standen am geschlossenen Check-In und guckten dumm aus der Wäsche. Kooperation, Anstand und Geduld wurden bestraft, die Drängler hatten obsiegt.
In solch einer Situation halfen nur noch die richtigen Kontakte: Ein Beamter rief den Transportminister an und entlockte dem Schalter damit noch ein letztes güldenes Ticket. Im Flugzeug, so hörten wir später, wollte jedoch niemand seinen Platz aufgeben. Der Start sollte sich daraufhin noch um mehrere Stunden hinauszögern. Eine Dame hinter mir versuchte Ähnliches: Sie blätterte sich durch all ihre Kontakte und konsultierte anschließend Jesus (die schon wieder?), jedoch ohne Erfolg. Eine Gruppe von 20 fassungslosen, wild herumtelefonierenden Menschen blieb in Yaoundé zurück.
Die schöne Erkenntnis aus den nächsten 24 Stunden war hingegen, dass sich diese Gruppe zu einer kollegialen Gesellschaft zusammenschloss. Während die einen mit der kamerunischen Fluggesellschaft verhandelten, passten die anderen auf die Koffer auf. Das glich die vielen vermeidbaren Taxifahrten durch den alltäglichen Stau immerhin teilweise aus. Im Endeffekt wurde eine zusätzliche Maschine für uns aus Douala beordert und wir konnten am nächsten Tag abfliegen.
Wer denkt, es handele sich hierbei um einen Einzelfall, wird bitter enttäuscht. Ähnliche und noch schlimmere Fälle gibt es immer wieder: Verlorene oder geöffnete Koffer, geklaute Gegenstände, plötzliche Ausfälle, alles schon erlebt. Da kann man fast froh sein, dass die Flugzeuge nicht hier, sondern in Äthiopien gewartet werden.
Nach dem zweiten Blogeintrag dieser Art ist es Zeit aus interdisziplinaren Erkenntnissen zu lernen. Erasmus-ähnliche Programme unter Busfahrern und Piloten könnten ein Anfang sein. Wie oft habe ich mich schon geärgert, als das Flugzeug meinen Heimatbezirk überquerte und ich, um direkt abzuspringen, den Stop-Knopf nicht gefunden habe. Andersherum haben Piloten die Haltestellen bisher selten komplett vergessen – ganz anders als Busfahrer, die die Tür oft wieder verschließen, bevor sie ganz geöffnet war und darauf auch noch stolz sind.

