Die Unbezähmbaren fahren zur Weltmeisterschaft
Die Weltmeisterschaft steht vor der Tür und im edlen Hilton Hotel riecht es nach Marihuana. Zugegeben, ich habe nicht immer die besten Quellen, doch ich versichere euch: Beides steht im engen Zusammenhang. Fangen wir dazu einfach am 07. November an.
Am Montagmittag im Diplomatieviertel Bastos sah ich ein über die Hauptstraße gespanntes Banner hängen, welches eine Kinopremiere ankündigte: Odysee, ein Film über das kamerunische Sommermärchen bei der WM 1990. Also schon wieder ein Blogeintrag über einen Film? Nicht ganz! Heute geht es hauptsächlich um Kamerun und seinen Lieblingssport: Fußball.
Filmvorstellung im Palais de Congrès
Einen Tag später, am Dienstag, fuhr ich die sich den Hügel entlangschlängelnde Straße hinauf zum großen Kongressaal, der als Räumlichkeit für das Event dienen sollte. Der Ort und der veranschlagte Preis ließen erahnen, dass es sich heute um eine Anzugträgerveranstaltung handeln würde. Und so kam es dann auch. Auf rotem Teppich und von Hostessen umrahmt, schritt ich in den Empfangssaal, wo die Fotografen gleich versuchten, mich für ihre Sache zu begeistern. Ein wenig später, bei lauem Buffet und schnell heruntergekipptem Wein, sprachen mich dann auf einmal zwei in grün-rot-gelben Gewändern gekleidete Männer an. Sie hatten es sich offenbar zur Aufgabe gemacht hatten, möglichst viele landestypische Klischees in möglichst wenig Stoff zu pressen und wurden daraufhin von der mondänen Menge keines Blickes gewürdigt.

Der eine, mit giftgrüner Lockenperücke unter einem Papagei Hut, grün gefärbten Bartstoppeln und Motorradhandschuhen hielt mir einen Baseballschläger vor mein Gesicht und fragte mich, ganz der seriöse Sportjournalist, nach meiner Meinung zu dem Spiel. Jedes Wort zählte, denn sein Kollege von Canal ‘59 – mit Hubschrauberbrille und Nasenmaske, zeichnete das Interview auf der altbewährten Canon Holz-Kamera auf. Erst nachdem ich meine Verwandtschaft in der Ferne gegrüßt hatte und das Kameralicht mich nicht mehr blendete, begann ich zu realisieren, dass es sich um angeheuerte Animateure handelte. Ich kehrte wieder in meine Gesprächsrunde zurück und erfuhr begeistert von dem Freundschaftsspiel morgen gegen Jamaika, hier in Yaoundé.

Kurz darauf wurden wir in den pompösen Saal gebeten, der tatsächlich eher nach Krönung anstatt nach Fußballfieber aussah. Der Film, eine Dokumentation ganz wie das deutsche Sommermärchen, handelte von dem Spektakel, welches die Kameruner zur Weltmeisterschaft 1990 in Italien ablieferten, als sie als erste afrikanische Mannschaft überhaupt in das Viertelfinale vorstießen. Die ehemaligen Spieler und Verantwortlichen erinnerten sich an das Trainingslager in Jugoslawien, in dem für die ersten Tage sogar die Bälle fehlten, an den triumphalen Eröffnungssieg gegenüber Maradonna‘s Argentinien und an das bittere Aus in der Verlängerung gegen die Engländer. Allen voran sorgte der damals bereits pensionierte und kurzfristig rehabilitierte Roger Milla für Begeisterung. Mit seinen vier Toren und legendären Eckfahnentänzen verzauberte er die ganze Welt und sorgte auch heute für feuchte Augen im Kinosaal. Just in solchen Momenten brüllten die zwei verrückten Animateure beliebige Schlachtrufe in die verwunderte Menge. Die sich nach einem Echo sehnenden Parolen versanken jedoch unerwidert in den gepolsterten Anzügen der Kinobesucher.

Leider konnte ich einige Zusammenhänge nicht ganz nachvollziehen, da nur sehr wenige Live-Spielszenen gezeigt wurden. Die 0:4 Niederlage gegen die Sowjetunion, wurde dem Film sogar komplett vorenthalten. Interessant war für mich, dass der Film bestätigte, was mir schon mehrere Kameruner bei zwei Bierchen bestätigten: Im Ernstfall entscheidet der Präsident über die Aufstellung.
Wie in Kamerun üblich (und vielleicht auch in anderen Ländern, ich kenne mich mit Filmpremieren nicht aus), wurden danach alle an dem beteiligten Anwesenden auf das Podium gebeten und endlose Reden geschwungen. Dabei stellt sich dann oft heraus, dass das Publikum meist zur Hälfte aus direkt an dem Film Beteiligten besteht. Der Rest möchte eigentlich nur nach Hause.

Zum Fußballspiel ins Omnisport-Stadion in Yaoundé
Ein neuer Tag, eine neue Fußballerfahrung. Zu meiner Freude begrüßten mich heute keine zierlichen Hostessen zum Fotoshooting, sondern ein stämmiger Polizist zur Rucksackkontrolle. Kritisch beäugte er meine Wasserflasche, ein globales Phänomen. Schlussendlich wies er mich jedoch nur dazu an das Etikett abzuziehen. Die Flasche durfte ich behalten. Deutlich entspannter als zum Beispiel bei einem Festival in Berlin, in dem uns ein Verkäufer nicht einmal den Deckel einer Colaflasche gönnte, mit der Begründung er könne als tödliches Wurfgeschoss dienen.

Ich betrat das historische, elegant geschwungene Omnisport Stadion und ließ mich direkt neben einem riesigen Präsident Paul Biya Plakat nieder. Bloß nicht das Bier ungünstig verschütten! Das heutige Freundschaftsspiel gegen Jamaika sollte auch als Adieu für die anschließende Reise nach Katar dienen. Die in Deutschland kursierenden Debatten über den Austragungsort existieren hier im Übrigen nicht. Man ist einfach froh dabei zu sein.
Frenetischer Jubel brauste auf, als Nationalheld Samuel Eto’o und weitere Vorsitzende der FECAFOOT den Spielern alles Gute für die Reise wünschten. Mein erster Eindruck, als ich mich umsah: Ganz schön männlich das Publikum! Dementsprechend war die Stimmung auch teilweise aggressiv aufgeladen, ganz wohl fühlte ich mich über die 90 Minuten nicht immer. Zwei junge Männer entluden ihr Aufmerksamkeitsbedürfnis an den anwesenden Milliardären, wie sie mich und andere nicht weit entfernt sitzende Weiße mit feuchter Aussprache titulierten.

Während ich von den Sitznachbarn auf wenig Unterstützung hoffen durfte, waren sie doch alle viel entspannter und einfach nur gekommen, um Spaß zu haben. Als die jamaikanische Hymne ertönte stimmten die heimischen Fans frenetisch „One Love“ von Bob Marley an. Und auch während des Spiel erschallten immer wieder Rufe wie „No banga, no but!“. Kurz: Sie benahmen sich genauso wie die Animteure gestern im Kinosaal, nur dass ihre Rufe im Stadion von schallendem Gelächter gefolgt wurden. Heute waren es eher die Zuschauer auf der VVIP-Tribüne, die nicht ganz in den Rahmen passen sollten.

Das Spiel fing gleich mal feurig an, Kamerun war die dominante Mannschaft und die Jamaikaner traten tatsächlich so schwerfällig auf, als hätten sie gerade noch im Mannschaftshotel ein wenig Banga durchgezogen. So waren es die Gastgeber, die sich die ersten guten Chancen erarbeiteten. Meist über den einzigen Spieler, den die Fans überhaupt kannten: Aboubakar. Die eigentliche Besetzung um Choupo-Mouting war derweil noch in Europa im Einsatz und wurde von lokalen Spielern vertreten, die die Fans einfach mit ihren Rückennummern anschrien.
Trotz der guten Anfangsphase ging es mit einem 0:0 in die Halbzeitpause. Mittlerweile trafen auch die letzten Fans im Stadion an. Einem früher Dämpfer in Halbzeit zwei folgte dann der Moment grenzenloser Hysterie, als Kamerun mit einem abgefälschten Weitschuss zum Ausgleich kam. Die erlöste Menge tobte, Leute sprangen umher, brüllten, lachten, grölten, wieherten mit allen ihnen zur Macht stehendem Stimmmaterial. Der Stadionsprecher ließ Löwenschreie auf das einstimmende Publikum los. Auch ich stand kurz davor meine Wasserflasche als tödliches Wurfgeschoss zu gebrauchen, verlor aber die Lust, als ich sah, dass das Etikett fehlte.

Ein weiterer Jubelschreib blieb den Unbezähmbaren leider verwehrt, das Spiel endete 1:1. Der Heimweg in lauter Dunkelheit wurde für die meisten Menschen dann zu einer wahren Odyssee. Die Taxis oder Motorräder, als einzige öffentliche Verkehrsmittel, waren schnell überfordert. Da dazu eine angrenzende Hauptstraße blockiert war, pilgerten die Massen zu den nächsten großen Knotenpunkten, in der Hoffnung dort einen Taxiplatz zu ergattern. Ob die Nationalmannschaft für das Turnier bereit ist, kann nach diesem Spiel niemand so richtig sagen. Doch die Fans, so viel ist sicher, sind es allemal.


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