Filmfestival Écrans Noirs
Ich sitze im Kino und das Licht geht aus. Nicht das Raumlicht, sondern die Leinwand selbst leuchtet nicht mehr, ist komplett schwarz. Im Dunkeln höre ich einige Stimmen zischen. Dann ergreift der Techniker das Wort und beruhigt das irritierte Publikum. Der Notstromgenerator werde gerade angeworfen und es könne gleich weiter gehen. Ich strecke mich noch einmal, greife in meine Nic-Nac’s Tüte und schon leuchtet die Leinwand auf. Doch nicht nur sie: Jede in diesem Raum verfügbare Lichtquelle brennt auf maximaler Helligkeit. Ein gemeinschaftliches „Uhhrrr“ schwingt durch den Raum verkniffener Augen. Die Bildfläche zeigt den fetten Schriftzug: „Festival Écrans Noirs“

Das Festival Écrans Noirs hat langjährige Tradition in Kamerun. Es existiert seit 1997 und wird seitdem jährlich ausgetragen, gratis für jedermann und jedefrau. Am besten lässt es sich für meine heimischen Freunde mit der Berlinale vergleichen. Von mitreißenden Dramen hin zu aufklärerischen Dokumentationen bietet das Festival eine Bühne für jegliche Kategorie Film mit afrikanischem Bezug. Zu meinem Nachteil bemerkte ich aber auch Unterschiede zwischen der Berlinale und den Écrans Noirs, zum Beispiel: Der Dresscode.
Der großen Regenzeit geschuldet betrat ich, ganz wie in Berlin, den Saal in praktischer Trekkingausrüstung. Dank dieser konnte ich, etwas verspätet, den Saal auf meiner leichten, moos-schonenden Wandersohle unbemerkt betreten. Die Camouflage wäre auch fast gut gegangen, wäre da nicht mitten im Film wie gerade beschrieben das Scheinwerferlicht angegangen. Ein jeder sah sich neugierig um und ich, der wie eine Fledermaus in ihrer dunklen Höhle überrascht der Öffentlichkeit preisgegeben wurde, sah mein soziales Ansehen schwinden. Der Rest des Publikums war natürlich mindestens elegant gekleidet. Der weitere Verlauf des Festivals beschreibt sich wahrscheinlich am besten durch einige seiner Filme und so habe ich eine kleine Auswahl meiner drei Lieblingsfilme zusammengestellt.
Clando – Eystein Young Dingha – Kamerun
Ich starte die Aufzählung mit einer halbstündigen Dokumentation aus Westkamerun. Sie zeichnete eine Busfahrt von der im Bürgerkrieg verwickelten Stadt Bamenda im Nordwesten bis Douala, der größten Stadt Kameruns, nach. Der Weg ist nicht unendlich weit, doch es liegen Welten zwischen den beiden Städten. Die erste ist eine stolze Hauptstadt des anglophonen Teil des Landes, die zweite vibrierender Schmelzpunkt für den französischsprachigen Teil Kameruns.
Die Passagiere gingen nicht freiwillig, sie flohen, um ihr Leben zu retten, welches in Bamenda nicht mehr sicher gewesen wäre. Da ist die junge aufstrebende Businessfrau, die ein Geschäft eröffnen wollte, hätte man kurz vorher ihr Haus nicht in Schutt und Asche gelegt. Der Busfahrer verkündet über sein Mikrofon: „Ihr seid jetzt in einem anderen Kamerun, ab jetzt heißt es: Jeder für sich selbst!“ Eine ältere Leidgenossin neben der jungen Frau im Bus nimmt sie in den Arm. Ihre abgehärtete Schale, die ihre Trauer über den Heimatverlust überzieht, kann diese jedoch nicht verbergen. Um über die Runden zu kommen, verkauft sie im Bus medizinische Artikel, wie Masken und Cremes.

Jeder hier hat seine bittere Geschichte und nicht selten entlädt sie sich in einem Gespräch mit einem Frankofonen. Selbst der Regisseur, der nach der Vorstellung für Fragen offenstand, berichtete: Als die ersten Proteste über die Frankonisierung der Gerichte und Schulen in Gewalt mündeten, floh er nicht nach Yaoundé oder Douala, sondern nach Nigeria, weil er dort seine kreative Freiheiten besser entfalten konnte. Mittlerweile lebt er wieder in Bamenda, doch der Krieg hält bis heute an.
Fonja – Lina Zacher – Madagaskar
Was war ich froh, dass die Produzentin nicht örtlich anwesend war: Am Ende der Dokumentation war der Kinosaal des Goethe Instituts leer, nach 40 Minuten hatte das Publikum den Raum verlassen. Nur noch ich saß auf einem der Stühle und fand den Film gut. Sogar sehr gut. Allerdings erst als ich den wahren Wert der Produktion bemerkte.

Sie spielt im Jugendgefängnis „Antanimora“, dem größten Gefängnis Antananarivos und handelt von den jugendlichen Insassen. Das Besondere: Die deutsche Produzentin Lina Zacher gab den Kindern das teure Kameraequipment und ein paar Lernkurse an die Hand und ließ diese dann einfach mal machen. Der Mut und das Vertrauen sollten sich auszahlen: Die Kinder porträtierten sich gegenseitig. Nicht wenige offenbarten dabei Schrecklichkeiten von Ermordungen bei Diebstählen bis hin zu Vergewaltigungen. Wie auch immer man das wertet: Die meisten sitzen ohne gerichtliches Urteil im Gefängnis und müssen fürchterliche Lebensbedingungen ertragen.

Eine Geschichte berührte mich am eindrucksvollsten: Ein schmächtiger, verspielter Junge erzählte in dritter Person von einem Kind, dessen größerer Bruder verstarb, als er gerade selbst zur Welt kam. Kurz darauf verstarben auch sein Vater an einem Schock und seine Mutter an der schweren Geburt seiner selbst. Er war neugeboren, allein und fühlte sich schuldig. Die Person war natürlich er selbst.
Le Silence des Femmes – Melchy Obiang – Gabun
Mein absolutes Highlight dieses Festivals, am Ende kullerten sogar die Tränen. Er thematisiert die Geschichte einer 18-jährigen jungen Frau, welche von ihrer Mutter mit einem älteren, reichen und gewalttätigen Mann verheiratet wird. Kurz vorher hatte ihr ein geliebter Schulkamerad, der für einige Jahre zum Studium nach Frankreich geht, noch versprochen sie bei seiner Wiederkunft zu heiraten. Doch zu spät, die inszenierte Hochzeit mit dem Reichen ist unaufhaltsam, die Ehe verläuft böse und die Hilferufe der Protagonistin werden nicht erhört – nicht von der Kirche, nicht von anderen Frauen, mit gleichem Schicksal und schon gar nicht von der eigenen Mutter, die sich mit dem Geld der Mitgift endlich eine schöne Wohnung leisten kann.

Auch wenn ich manchmal mit den Charakteren durcheinanderkam, da diese ständig ihre Perücken tauschten: Das Drama hat mich stark berührt, weil es nicht den einfachen Weg nimmt Frauen als Opfer und Männer als Täter darzustellen. Die Charaktere sind oft beides. Die Frau des Pastors baut Schulen, weist zum Unmut ihres Mannes ihre gesellschaftliche Rolle als gebärende Mutter ab und ist am Ende aber genau die Person gewesen, die die Mutter der Protagonistin von der unheilbringenden Heirat überzeugte. Ich will dem Ende des Films nicht vorweggreifen, aber natürlich trifft die Protagonistin noch einmal auf ihren geliebten Schulkameraden…
Zehn Tage dauerte das Festival an und irgendwie hatte ich das Gefühl, dass die wenigsten Bewohner davon etwas wussten: Ich bekam es zum Beispiel auch erst am vierten Tag mit und suchte danach stundenlang nach dem Programm im Netz. Ergebnis: Negativ. Dabei war das Gebotene umso schöner. Teilweise wurde über die Filme schon diskutiert, als sie noch liefen und ich lernte endlich die Kinosäle Yaoundés kennen, von denen es immer hieß, sie hätten seit der Coronapandemie für immer geschlossen. Mir hat das Festival auf jeden Fall Mut gemacht.
PS:
Ich habe endlich einen Weg gefunden, meinen letztens deutlich gesunkenen Wasserkonsum wieder anzuheben: Ich arbeite jetzt als Zulieferer für die Saftindustrie. Da es in Kamerun kein Pfandsystem gibt, versorge ich örtliche Produzentinnen mit stark nachgefragtem Verpackungsmaterial: Ausgetrunkene Wasserflaschen. Leider habe ich jetzt das umgekehrte Problem: Mein Langzeitliefervertrag von zehn großen Flaschen am Tag führt zu ruhelosen Nächten.

