Kamerun

Garoua – Stadt des Nordens

Es war 20:07 und die kamerunische Tagesschau begann: ohne zweisekündigen Werbeeinspieler, ohne punktgenauen Gong, ohne immergrüne Hymne; dafür zugeschnitten auf all diejenigen, die sich um 20 Uhr noch ein wachsweiches Ei kochen möchten. Ich saß mit meiner Chefin im Restaurant der militärischen Flugbasis in Garoua, der größten Stadt im Norden Kameruns, und bekam mein Essen serviert.

Wir hatten anfangs noch Kommunikationsprobleme, der Koch Francis und ich. Ich hatte eigentlich klar artikuliert, dass er mir entweder Nudeln oder Kochbananen mit Gemüse oder, wenn alle Stricke reißen, Pommes zubereiten sollte. Doch als der Berg Nudeln auf das Hauptmenü mit Kochbananen und gekochtem Gemüse folgte, hörte ich auch schon die Pommes in der Fritteuse brutzeln. So war es dann auch. Auf die Frage, wer das denn alles essen soll, antwortete Francis nur mit einem unschuldigem Grinsen, welches einen dazu verleiteten würde ihm selbst einen Mord durchgehen zu lassen.

Ich war der Arbeit wegen für eine Woche in Garoua, welche mit ihrem Buschland zur Sahelregion gehört. Im Flieger fielen mir bereits die vielen schroffen Hügel um die in einem Hitzekessel liegende Stadt auf. Ich merkte ihr an, dass hier der erste kamerunische Präsident – Ahmadou Ahidjo – geboren wurde. Doch nicht alle Unterschiede gegenüber der Hauptstadt ließen sich allein darauf zurückführen.

Garoua’s Hauptcharakteristik war zuallererst ihre trockene Hitze. Im März klettert das Thermometer gerne einmal bis zu 45 Grad hoch, wenn es vorher nicht schon zerplatzt ist. Der Ort wird von den einstigen Nomaden, den Fulbe bewohnt und ist überwiegend muslimisch. Die Menschen sind gefühlt etwas zurückhaltender und ruhiger, was sich auch auf den Straßenverkehr widerspiegelt. Großangelegte, mit grünen Mittelstreifen versehene und von Fahrradwegen gesäumte Straßen lassen sich auf Ahidjo zurückführen, der seiner Heimat wohl einen besonderen Gefallen erweisen wollte.

Seine Präsidentschaft ist nun aber mittlerweil40 Jahre her und kann zwar das Ausmaß, aber nicht den guten Zustand der Straßen erklären. Vielmehr war es die Afrikameisterschaft letzten Jahres, die die Erneuerung all dieser Infrastrukturen bewirkte, nicht ohne das ein oder andere mittlerweile wenig frequentierte Luxushotel zu hinterlassen.

Der angenehme Teil des Klientelismus ist ein unaufgeregter Straßenverkehr und einige Parks und Grasflächen, auf denen ich mich ungestört meiner Flanierlaune hingeben konnte. Lediglich die Straßenschilder, die verzweifelt versuchten mir den Aufbau eines sechsarmigen Kreisverkehrs zu erklären, ließen ein bisschen an das zentralkamerunische Chaos erinnern. An Yaoundé, wo man sich unverhofft mit Hühnern das Taxi teilt.

Garoua ist die einzige große kamerunische Ansiedlung am Benue Fluss, ein Nebenfluss des berüchtigten Niger. Nicht nur der Mensch hat Gefallen an dem Flusstal gefunden. Auch einige Flusspferde geben hier seit jeher Acht nicht mehr als ihren ledrigen Rücken zum Vorschein zu bringen. Die Strategie scheint ganz gut zu aufzugehen, denn meines Wissens gibt es in Garoua keine „Hippo-Tours“ und „Flusspferd-Lodges“. Die wohl dicksten Huftiere blubbern einfach an der Wasseroberfläche, ganz als Teil des großen Ganzen.

Ich saß immer wieder in dem Restaurant im Militärbezirk, in dem mir auch auffallend viele Soldatinnen über den Weg liefen. Nicht selten waren die dann doch eher männlichen Soldaten trotz ihres Feierabendbiers recht sportlich unterwegs und so kam es nicht überraschend, dass ich schnell Anschluss zu Sportsfreunden fand. Ohne von seiner Rolle zu ahnen, lud mich der General der Flugabteilung (nennt man das so?) zu seiner Volleyballgruppe ein, die täglich nach Feierabendschluss der Staatsbediensteten (15:30) ein paar Bälle übers Netz schmettert. Da ich nicht an meine Sportschuhe gedacht hatte, schlüpfte ich schneller als gedacht in die Fußstapfen des Generals, hoffentlich nur wortwörtlich gesehen.

Zeitsprung. Mittlerweile war es Samstag und wir hatten die Arbeit hinter uns gebracht, um heute mit einigen Kollegen und Kolleginnen an den Stausee Lagdo zu fahren. Die holprige Fahrt dorthin ließ uns wundern, warum in Garoua teils dreispurig gebaut wurde, aber eine wahnsinnig ansehnliche Sehenswürdigkeit nur über Erdstraßen zu erreichen ist. Ein Grund mehr für die heimische Bevölkerung, das Auto dann doch mal voller als nach TÜV Empfehlung zu beladen, um unnötige Fahrt zu vermeiden.

Wir standen am bläulich schimmernden Ufer. Die aus dem Wasser ragenden, laubfreien Äste vergangener Bäume offenbarten uns, dass der See erst in den achtziger Jahren entstanden ist, nämlich nach dem von Chinesen unterstützten Bau eines Staudamms, der ganz Nordkamerun mit sauberem Strom versorgen kann. Wir machten an einer Touristenlodge Halt und konnten, nun da der Motor aus war, endlich die Ruhe des Ufers genießen. Ich positionierte mich in ein von lose zusammengelegten Steinen umrahmtes Kiesbeet. Plötzlich hörte ich den freundlichen Restaurantmitarbeiter mich darauf hinweisen, keine Fotos in der Moschee zu schießen. Leicht verwirrt setzte ich einen Schritt aus dem Steinbeet und sah ein, dass man in einer anderen Sprache nicht Herrscher über die eigene Komik ist.

Wir warteten auf den Fisch, der laut Koch noch im Wasser, also gleich fertig sein sollte. Eine gute Gelegenheit seinen Blick schweifen zu lassen und die vielen Pirogen zu beobachten, die motorisiert oder nicht, vom Ufer nach Madagaskar, der kleinen Insel inmitten des Sees, übersetzten.

Nachdem wir dann genüsslich gespeist hatten und ich mich mit immer größer werdenden Löffelspitzen an das scharfe Piment rangetraut hatte (anfangs hielt ich es für Ketchup und nahm einen ganzen Esslöffel), bewegten wir uns Richtung Strand. Es waren nur wenige langsame Schritte, vorbei an freilebenden Affen, bis wir mit unseren Fußsohlen in den brennend heißen Sand eintraten und plötzlich wie von der Tarantel gestochen versuchten bis ans rettende Ufer zu sprinten.

Wir setzten uns in ein etwas moderneres, weil nicht aus Holz gebautes Boot, welches mit Boardtoilette (besser nach hinten raus) und Fensterblick in alle Richtungen aufwarten konnte. Zusammen mit einem Steuermann und einem Navigator fuhren wir die Küste entlang vorbei am Staudamm, bis rüber nach Madagaskar, wo wir für ein paar Fotos hielten, jedoch nicht bis ins Inselinnere vordrangen. Dabei befand sich dort eine kleine Ansiedlung, die, mit eigener Schule und Gebetsstätte, schon meine Neugierde angeregt hatte.

Wieder am Ufer unseres Strandes angekommen, erlebte ich dann die bisher längste und hartnäckigste Preisverhandlung bisher in Kamerun. Die Vorstellungen, die leider Anfangs nicht ausgetauscht wurden, konnten nicht unterschiedlicher sein: 50.000 XAF versus 10.000 XAF, ein Unterschied wie 76€ und 15€. Es wurden in bester betriebswirtschaftlicher Manier ehemalige Preise für ähnliche Dienstleistungen aufgelistet, nur um kurzerhand eine Lektion über die hiesigen Spritpreise zu erhalten. Ja, ja, die Inflation, gähn, lautete die gelangweilte Antwort und unterstellte eher die Anwesenheit eines Weißen als alleinige Grund für diesen horrenden Preis. Ich zog derweil bis auf meine Unterhose alle meine Sachen aus und nahm ein genüssliches Bad im lauwarmen See.

Meine Chefin rief mich mit den Sorgen einer Mutter von vier Kindern und einem 25-jährigen Praktikanten alsbald wieder ans Ufer zurück, jedoch nicht, weil sich die Verhandlungsparteien geeinigt hätten, sondern aus Unverständnis über so eine bescheuert gefährliche Idee in einem See baden zu gehen – zumal noch da, wo man ohne Probleme stehen konnte. Dabei hatte ich ihr gestern noch in einem Pool versucht das Schwimmen beizubringen und ihr doch damit eigentlich gezeigt, dass es schon theoretisch möglich ist. Trotz erheblicher Fortschritte ist sie dennoch leider bei jedem Versuch fast uuuuntergegluuuckert.

Die Verhandlungen waren beendet, der Preis: 15.000 XAF. Es hat sich also gelohnt für uns. Das schöne nach so einer Verhandlung ist, dass die Kunden den Verdacht des Wuchers und die Dienstleister gleichzeitig den der Ausbeutung erheben. Sprich: Alle sind maximal unzufrieden.

Nachdem die Gemüter auf der Strandliege etwas Zeit bekamen sich zu beruhigen, fuhren wir nun in der Nachmittagssonne zurück in die Basis, nach Garoua. Ausruhen war angesagt, denn der darauffolgende Tag war der Welttag gegen Kinderarbeit und in den musste selbstverständlich in einem Klub reingefeiert werden.

So saß ich also wieder, am letzten Abend in Garoua, im Restaurant der Militärbasis und wartete darauf, von Francis bedient zu werden. Immer wenn wir uns sahen, fuhr uns beiden ein breites Grinsen übers Gesicht. Ich glaube ich werde ihn nie für sein unschuldiges Lächeln nach dem Servieren der gutgemeinten Monsterportion am ersten Abend vergessen. Zwischendurch hatten wir uns auch gefangen: Es gab leckere Speisen und nie mehr als zwei Teller. Doch heute, am letzten Abend, machten wir leider nochmal einen Rückschritt, vielleicht weil heute meine Chefin anwesend und Francis es nochmal der ganzen Welt zeigen wollte: Seht her, wie sich der Europäer, nach anfänglichen Klagen, seinen Wanst vollfrisst! Doch nicht mit mir, ich desertierte noch vor dem Dessert und warf die Serviette in den mit Essen gefüllten Ring.

Mit vollem Magen, ausgeruhtem Kopf und Sonnenbrand einzig auf den Füßen, fuhren wir in der jungen Dunkelheit in die Stadt. Den Enthusiasmus meiner Begleitung für den morgigen Aktionstag hatte ich dabei bei Weitem unterschätzt, denn um Mitternacht gab es sogar einen Kuchen und da mich meine Chefin mittlerweile ja als sowas wie ihr Kind betrachtete, stand sogar meine Name auf dem Kuchen.

Zeitsprung. Wir saßen komplett zerstört um acht Uhr morgens am Flughafen und Anne deutete auf ihr Telefon: „Der Flieger wurde auf 18Uhr verschoben“. Ich dachte, sie um 7:30 an der Schwelle zu ihrem Zimmer zu sehen, wie sie 15 Kilogramm Fleisch in einen Karton batzte, war die größte Überraschung heute. Doch da war sie also, wenn man sie am dringendsten brauchte, die sagenumwobene „Air-Peut-être“.

Ich sah mich schon an meinem Daumen nuckelnd zehn Stunden in der Flughafentoilette sitzend, doch meine Chefin wäre nicht meine Chefin, wenn ihr „R“ in solchen Situationen nicht noch ein wenig schärfer rollen würde und uns somit einen Platz im Flieger um 12 Uhr mittags (der eigentlich um 15 Uhr abfliegen sollte) beschert hätte.

In Yaoundé erwartete mich dann mit der Sinflut wieder mal die Erkenntnis, dass die Kameruner am Ende recht behalten sollten: Hier ist es ja wirklich kalt! Doch zum Glück wurde auch hier der Tag gegen Kinderarbeit gefeiert und das Wochenende bekam seinen verdienten Ausklang.

Wohinnoch? ist ein Reiseblog, in dem wir mit ausgiebig Zeit die weniger beachteten Orte dieser Welt besuchen.

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