Der Weg in eine andere Welt
Noch ist es dunkel. Bevor der Tag beginnt, werfe ich meinen Wahlschein in den Briefkasten. Ich bewege mich anschließend geradlinig Richtung Bahnhof. Vor mir auf der Treppe torkeln zwei betrunkene Jugendliche auf dem Weg nach Hause. Einer der beiden macht mit einem indischen Akzent einen Inder nach. Mein Rucksack ist dieses Mal etwas schwerer geworden. Mit mir im Gepäck sind einige Italienisch Bücher, „1984“ von George Orwell und ein indischer Reiseführer.
Schweren Fußes und leichten Gewissens steige ich in die S-Bahn und höre der Partymusik zu, die einige junge Erwachsene über ihre Musikbox abspielen. Eine mir gegenübersitzende, nicht mehr ganz so junge erwachsene Frau, guckt etwas nostalgisch abwechselnd auf den feiernden Mob und dann auf den Boden. Neben mir sitzt ein bärtiger Mann mit blondem Haar und grinsendem Gesicht. Auch er hat einen riesigen Rucksack mit, der sich auf meinen stützt wie ein japanischer Sumo Ringer.
Noch ist es dunkel und wir kommen am Flughafen Tegel an. Das Tor zur Welt oder eher das Tor nach Frankfurt, Amsterdam und München. Das sind dann wohl eher die Tore zur Welt. Wir folgen dem Weg und fliegen als Erstes nach München. Kaum hat der Flieger der Hauptstadt den Rücken gekehrt, senkt er sich auch schon wieder. Das kommt mir aber vielleicht auch nur so vor, weil mir zwischendurch mal kurz die Augen zufallen.
Vier Stunden müssen wir in München auf unseren Anschlussflieger warten. Ich frage Lucas, ob es ihm auch schon so vorkommt, als wenn wir schon im Ausland wären. Kurz danach fällt uns auf: „Ach stimmt, wir sind ja in Bayern!“
Trotz der vorher zubereiteten Brötchen überkommt mich im Flugzeug ein großes Hungergefühl. Das Mittagessen stillt den Hunger nicht komplett, hilft aber erst mal dabei, den Kohldampf zu lindern. Indien ist Deutschland voraus – jedenfalls zeitlich. Während es in Deutschland gerade pünktlich Primetime, 20:15 ist, schlägt die indische Uhr schon 23:45. Damit ist sie der deutschen um dreieinhalb Stunden voraus.
Um Mitternacht begeben wir uns zur Visumskontrolle. Die Schlange ist wahnsinnig lang, bewegt sich keinen Meter vorwärts und wir stehen auch noch ganz hinten. Wie vom Glück geküsst, öffnet ein Verantwortlicher ein paar Absperrbänder neben uns und wir sind auf einmal die ersten in der Schlange! Nach dem Scan von unseren Fingerabdrücken, der Achselschweißidentifikation und einer Fußzehenkrümmungsmessung öffnen sich die Tore für unsere Reise.
Ein vom Hotel beordertes Taxi fährt uns durch die Nacht der indischen Hauptstadt. Einmal gucken Lucas und ich uns besorgt an, als der Fahrer die rote Ampel komplett ignoriert, danach wird es zur Normalität. An mehreren Automaten versuchen wir Geld von unseren Visakarten abzuheben – doch es will nicht funktionieren. Wir haben also schon eine Aufgabe für morgen!
Total erschöpft und unwissend ob man müde, munter oder beides ist, werfen wir uns in unsere Betten und versuchen zu schlafen. Nach 10 Minuten höre ich es aus Lucas´ Ecke schnarchen. Ich brauche noch weitere 2 Stunden, bis auch ich mich den Noggenix geschlagen gebe.

