Mexiko

Zeitgefühl

Man, schon wieder eine Woche rum. Wobei, was heißt „schon wieder“? Ich erlebe hier so unglaublich viel, eigentlich reicht es nicht, nur einmal die Woche zu schreiben, um von allem, was ich erlebe, ausreichend berichten zu können. Es fühlt sich echt so an, als sei es mehrere Wochen her, dass ich zum letzten Mal versucht habe, das Wichtigste hier niederzuschreiben. Es ist dieses Mal etwas länger als die letzten Male geworden, die Warnung spreche ich besser hier schon aus. Gut, dann fange ich mal an, zu berichten.

Wie sich der ein oder andere sicher erinnert, schloss ich den letzten Beitrag mit der Information, dass ich nun ins Tequila gehen würde. Das Tequila ist ein Club, der wie fast alle Clubs in Mérida während der Sommersaison an den Strand zieht und danach wieder zurück kommt. Bei jeder erneuten Öffnung wird etwas in der Innenausstattung geändert, wahrscheinlich damit jedes Jahr aufs Neue eine Neueröffnung angepriesen werden kann. Gegen 23:30 waren wir dann dort und ich kann mich nur auf meine sehr beschränkten Klubkenntnisse aus Berlin berufen, aber der erste Unterschied war bereits das Anstellen. Anstelle einer halbwegs ordentlichen Schlange standen die Feierwütigen in einer Traube um den Eingang und warteten darauf, dass die gütige Willkür der Türsteher sie reinlassen würde. Zwei blonde Mitfreiwillige wurden direkt reingewinkt, ich durfte folgen, nachdem ich mithilfe meines Personalausweises bewiesen hatte, ebenfalls Deutscher zu sein. Innen unterschied der Klub sich nicht sonderlich von den europäischen. Es gab einen großen Floor, zwei Bars mit wie immer überzogenen Preisen, getrennte Toiletten und an den Seiten Sitzmöglichkeiten. Alles bekannt. Die Musik gefiel mir nicht besonders, doch mit ausreichend Tequila intus hat der Abend doch sehr viel Spaß gemacht. Muss ich den Beitrag jetzt eigentlich als „Nicht für Kinder und Jugendliche unter X Jahren geeignet“ kennzeichnen?

Nachdem wir gegen 3:30 Uhr zuhause waren telefonierte ich noch mit Teilen meiner Familie in Berlin. Ich war nämlich gefragt worden, ob ich Zeit dazu hätte und der Zeitpunkt erschien mir aufgrund der Zeitverschiebung und des Planes meiner Gastfamilie, am nächsten Tag an den Strand zu fahren als der einzig mögliche. Ich habe das Gespräch als sehr gut und informativ empfunden, wie es der Gegenseite erging, kann ich aber leider nicht abschätzen…

Am Montag war dann endlich, ich hätte ja nie gedacht, dass ich das mal sagen würde, der erste Schultag. Was mir beim Schreiben des letzten Satzes auf- und eingefallen ist, sind Sie, liebe Leser, mit dem Prinzip der Mythenmetzschen Abschweifung vertraut? „Bei der Mythenmetzschen Abschweifung handelt es sich um ein literarisches Stilmittel, das von Hildegunst von Mythenmetz erfunden wurde. Der Autor nutzt dabei die künstlerische Freiheit, alles, aber auch alles, ob es zur Geschichte passt oder nicht, ausschweifend schildern zu dürfen.“ http://de.zamonien.wikia.com/wiki/Mythenmetzsche_Abschweifung Wie ich darauf komme? Wenn ich einen neuen Teilsatz einschieben kann, dann kann ich doch auch pädagogisch wertvoll sein und Ihnen dieses Stilmittel näherbringen. Gibt es vielleicht noch einen anderen Bezug zu meinem Text beziehungsweise meiner Erzählung? Vielleicht. Aber an späterer Stelle mehr dazu, jetzt habe ich erstmal die Spannung auf die Informationen über mein Schulleben vergrößert und direkt eine neue Frage aufgeworfen. Ich Fuchs. Wie jeder andere Montag auch begann der erste Schultag mit etwas, das es in Deutschland in dieser Form schon einige Jährchen an Schulen, zumindest den mir bekannten, nicht mehr gibt und in dieser Form vielleicht auch gar nicht gab, da bin ich überfragt. Gemeint ist der Fahnenappell. Alle Schüler und fast alle Lehrer standen in einem Kreis um die mexikanische Flagge, alle trugen ihre Schuluniform und hielten sich die Hand mit der Handfläche in Richtung des Bodens vor die linke Brust, Finger gestreckt. Dazu wurde inbrünstig sowie mit ernsten Mienen die Nationalhymne gesungen. Ich muss gestehen, dass ich mich beim Anblick der Kinder in dieser doch militärisch wirkenden Haltung unwohl fühlte und froh war, an anderer Stelle beim Entgegennehmen von Schulmaterial helfen zu können.

Die ersten zwei Tage der Woche half ich größtenteils beim Ordnen von Büchern, ehe um zwölf der Deutschunterricht begann. Unsere Gruppe ist mit acht sehr wissbegierigen Schülern ausgesprochen klein und es macht tierisch Spaß mit ihnen zu arbeiten. Außerdem finde ich es sehr spannend zu sehen, wie Deutsch als Fremdsprache unterrichtet wird. Nach den ersten Stunden wurden wir von anderen Lehrern angesprochen, dass aus unserem Raum viel Gelächter zu hören sei und dass wir so weitermachen sollten. Beispielsweise hatte ich die Idee, um die Aussprache der Umlaute zu üben, könnten die Schüler ja alle versuchen, „Dürüm Döner“ zu sagen. Einziger Nachteil daran, in mir regte sich Dönerlust. Nichtsdestotrotz war es sehr tröstend zu sehen, dass Mexikaner ähnliche Probleme mit der Aussprache deutscher Wörter haben, wie ich sie mit spanischen habe.

Am Dienstag bekam ich dann meinen Stundenplan und kann mich wohl nicht beschweren. An zwei Tagen der Woche helfe ich vornehmlich beim Sportunterricht, zudem bin ich an den drei übrigen in den Klassen eins, zwei und drei. Somit habe ich im Verlauf der Woche Unterricht mit allen Klassen der Primaria.

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So, jetzt ist das Rätsel um den Bezug zu Hildegart von Mythenmetz immer noch nicht gelöst und mein Kampf mit den Behörden um mein Visum wurde auch noch nicht angesprochen. Ich denke, dass ich ersteres jetzt noch schnell beantworte und das zweite auf nächstes Mal verschiebe, schließlich haben Sie, lieber Leser, auch noch anderes zu tun, als meine Worte aufzusaugen.
Also, am Freitag nach meinen täglichen Spanischstunden musste ich in einem Einkaufszentrum warten, weil der starke Regen mich daran hinderte, nach Hause zu laufen. In einem kleinen Buchladen entdeckte ich dann vollkommen überraschend und zu meiner großen Freude ein Buch namens El maestro de las Burujas. Zu Deutsch: Der Schrecksenmeister. Kennen Sie nicht? Dann sind Sie ein Literaturbanause! Der Schrecksenmeister ist mein Lieblingsbuch des fantastischen Walter Moers, der unter anderem auch den Käpt´n Blaubär und Hildegart von Mythenmetz als fiktiven Autor einiger seiner legendären Zamonien-Werke ins Leben rief. Klar, dass ich das Buch sofort kaufte.

Da abends Fußball geguckt wurde, Mexiko gewann in einem eher lauen Spiel mit 1:0 gegen Panama und qualifizierte sich damit für die WM in Russland, hatte ich bisher keine Zeit, das Buch anzufangen. Dafür aß ich zum ersten Mal in meinem Leben eine Pizza Al Pastor. Unglaublich lecker! Jedenfalls, jetzt habe ich Zeit zum Lesen und werde die hoffentlich auch nutzen können. Unter der Woche bin ich abends immer derart kaputt, dass ich nach den Spanischstunden gegen 19 Uhr nachhause komme und relativ zügig gegen 21 Uhr ins Bett verschwinde. Sicher könnte auch daran liegen, dass mein Zeitgefühl derzeit etwas desorientiert ist. Ich entsende wie eigentlich immer liebe Grüße in die Welt und bedanke mich bei allen Lesern, die bis hierher durchgehalten haben! Bis bald!

3 Comments

  • steffenhamann2017

    Lieber Jakob, danke für deine tollen Beiträge!
    Zum Thema Fahnenappell. Den gab es in meiner Schulzeit dem Namen nach auch. Aber, wenn ich mich recht erinnere, nur ein paar mal im Schuljahr und ohne Hymne und ohne den Akt des Fahnehissens. Das hatte der Hausmeister bereits im Voraus erledigt.
    Genieße Deinen freien Sonntag – Steffen

  • Jürgen Hamann

    Hallo Jakob, wir (Oma und ich) haben ein neues Hobby: Blog von Jakob lesen. Deine Beiträge gefallen uns sehr, besonders auch die mit den Details über die Schule und Deine tägliche Arbeit. Sollte der Schreibeifer mal nachlassen, ist Lesermangel jedenfalls keine Ausrede.
    Weiter viel Spaß!
    Oma und Opa
    Abschweifung: Wir erweitern sogar unser Wissen (Hildelind von Mythenweb …)

  • Jürgen Hamann

    Nachtrag zum DDR-Fahnenappell: die Hymne hätte höchstens gesummt werden können, denn der Text (mit dem Bestandteil „… laß uns dir zum Guten dienen, Deutschland einig Vaterland …“ galt schon bald als nicht mehr opportun).

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