Großer Rückblick
Es ist gar nicht so schwer. Ich brauch mich nur hinsetzen und drauf losschreiben. Die Erwartungshaltung, die ich an mich selber in meinem letzten Blogeintrag habe ist glücklicherweise nicht allzu hoch, doch irgendwas lenkt mich ab, ist anders als sonst. Ist es vielleicht dieser 300 Zoll Bildschirm vor meiner Nase? Müsste da nicht ein kleiner Laptop, der manchmal plötzlich abstürzt und einen traurigen Smiley anzeigt, auf meinem Schoß liegen?
Und wie? Was? Heute gehen wir nicht auf einen Aussichtspunkt und schauen uns den nächsten rot gefärbten Canyon mit einem von Wasser gefüllten Flussbett voller Meerjungfrauen an? Wie? Was? Keine einsamen, epischen Gras-und Wüstenlandschaften voll von umherspringenden Kängurus? Hm? Hä? Müggelsee? Wildschweine? Tagesausflug nach Buckow? …Wer?
Wie es ist wieder in Deutschland zu sein? Wie Australien war? Nun. Ich kann es nicht sagen. Ich saß 10 Minuten vor meinem Bildschirm und habe auf einen Text, der zum großen Rückblick ansetzte, geschaut und ihn fragend angeguckt. Warum ein großer Rückblick? Jeder, der uns jetzt wiedergesehen hat, musste wie wir feststellen, dass es einem so vorkommt, als wären wir nie weg gewesen. Meine Automatismen zuhause greifen immer noch. So kann mein rechter Arm noch immer exakt die Kraft aufbringen, die nötig ist, um beim Herauslaufen aus meinem Zimmer die Tür zuzuschwingen, ohne dabei aber ein lautes Geräusch zu machen.
Eine Fähigkeit, die respektabel ist, uns aber genau null Mal während unserer Reise geholfen hat. Und dennoch existiert sie noch. Genauso wie die Fähigkeit e-Funktionen schriftlich abzuleiten. Ebenfalls respektabel und ebenfalls ohne Wert auf der Reise. Dazu nicht mehr ganz so existent.
Neugewonnene Fähigkeiten? Einen 10 Liter Wassersack, ohne zu zittern solange bis er randvoll ist mit beiden Händen an einen Wasserspender halten, der das Wasser nur in hohem Bogen von sich gibt? Feuerholz sammeln? Karten sortieren?
Allein schon, wenn man auf die Karte guckt und sich anschaut, wo wir langefahren sind, ist das unglaubwürdig und surreal. Jedenfalls für mich. Wenn man sich dann noch anschaut, was auf dem Weg lag…
Schwindelig wird einem auch bei dem Gedanken, dass es einem nicht möglich war jeden Weg zu gehen, da sich Wege ständig spalten. Was wäre gewesen, wenn wir am Anfang in die komplett andere Richtung gefahren wären?
Was uns wichtig ist und was wir uns am Anfang vorgenommen und auch eingehalten haben: Wir haben uns nie vor irgendeinem Weg verschlossen, sind nicht stehengeblieben oder haben uns gar umgedreht. Natürlich haben wir nicht alles gesehen in Australien und dennoch sind wir zufrieden abgefahren, mit dem guten Gewissen, nicht vor den Sachen, die auf dem Weg lagen zurückgeschreckt zu haben, wie etwa der Oper von Sydney, den Blue Mountains, Buckelwalen und Delfinen. Da lagen Zwiebelfarmen samt Traktoren, Nudeln mit Ketchup, selbstgemachte Sandwiches und selbstgebaute Bettgestelle auf dem Weg. Viel zu kalte und viel zu warme Nächte in unserem Campervan Jeremy. Vertreterjobs, Zeltplätze und unsympathische Mitbewohner.
Ich führe die Kette mal fort: Äpfel, Farmer, Erdbeerfelder, Knock-offs, Kanus, Goon. Startprobleme, Fraser, Airlie, Fledermäuse und ein “isset denn mööschlisch?”. Tauchgänge, ein Fallschirmsprung, Sylvesterknaller im Handgepäck, Outback, eine Schrotflinte, Freunde. Den Big-Deal, kaputte Handys, Arschloch und eine Krone. Elefanten, Massagen, scharfes Essen, die Skybar, Knack, Vollmond, Inseln und Buckets.
All das war für viele sicherlich eine beliebige Aufzählung von Nomen, die ein wenig zu lang geraten ist. Für Lucas und mich sind das aber alles Schlüssel zu Geschichten, die auf diesem Weg über die Landkarte tiefer als ein traditionelles thailändisches Tattoo unter unsere Haut geschrieben wurden.
Geschichten, die man wieder auspackt, während man gemeinsam, mittlerweile alt und grau geworden, bei einer Runde Busfahrer und einem Glas Goon auf seiner Terrasse sitzt und zurückdenkt.
An eine wunderschöne Reise mit vielen faszinierenden Erlebnissen, tollen Begegnungen und atemberaubenden Augenblicken, an die man sich ein Leben lang erinnern wird.
Vielen Dank für´s Lesen. Ich war sehr überrascht davon, wie viele Leute noch heimlich mitgelesen haben und habe mich immer riesig darüber gefreut, wenn ich mitbekommen habe, dass es euch gefällt.
03.07.2016, Berlin – André schreibt

