Mexiko

Spontan

Das Adjektiv dieser Woche war und ist für mich „spontan“. Mir ist aufgefallen, dass besonders in meiner Familie vieles spontaner ist, als ich das so kenne. Allerdings möchte ich nicht ausschließen, dass es daran liegt, dass ich einfach nicht über die Pläne informiert werde, viel eher glaube ich aber, dass ich es schlichtweg nicht verstehe, wenn ich informiert werde.

Am Dienstag kam ich ganz alltäglich von meinen langwierigen aber nicht sehr intensiven Spanischstunden nach Hause, duschte mich gemütlich und bereitete mich darauf vor, ins Bett zu fallen. Meine Gastmutter hatte aber andere Pläne. So wurde ich gebeten mir etwas feineres als eine Sporthose anzuziehen, kurzerhand ins Auto verfrachtet und wir fuhren ins Zentrum. Dort angekommen wurde das Auto geparkt und wir liefen wenige Meter zum Theater. Im Theater spielt hauptsächlich das Symphonieorchester Yucatáns, heute aber fand ein Benefizkonzert statt, dessen Erlöse jungen Mexikanern den Zugang zu Universitäten ermöglichen sollen. Die Stars des Abends waren zu weiten Teilen maximal halbprofessionelle Sänger, die Pop-Klassiker der spanischen Sprache zum Besten gaben. Ich kannte genau ein Lied, was mich aber überhaupt nicht gestört hat. Verstanden habe ich von den Texten ebenso wenig, abgesehen von Ricky Martins „Livin´ la Vida Loca“. Einige Sänger waren ausgesprochen gut, bei anderen hingegen hörte man deutlich, warum sie mit Singen kein Geld verdienen können. Insgesamt war der Abend wirklich schön und hat mir gut gefallen.

Kleiner Zeitsprung, wir befinden uns am Donnerstag. Wieder sitze ich nichtsahnend rum, diesmal während des Spanischunterrichts, als mich plötzlich ein mir unbekannter Mexikaner anschreibt, der sich später als Freund meiner Gastschwester herausstellt. Er fragt, ob ich Fußball spielen wolle und zack, bin ich eingeladen am Abend gegen 8:50 Uhr mitzuspielen. Wichtige Anmerkung: Es handelt sich nicht um Fußball im klassischen Sinne sondern um „Fútbol rápido“, also Hallenfußball auf Kunstrasen und unter freiem Himmel. Dass es sich um ein Punktspiel handelt, begreife ich erst, als ich den Schiedsrichter begrüße. Dieser Umstand erklärt auch, weshalb ich Schienbeinschoner brauche. Kurz zuvor hatte ich mir schnell noch welche gekauft, denn die, die ich in Deutschland benutzte nahm ich aus einem ganz simplen Grund nicht mit. Sie stinken zu sehr. Das Team ist offensichtlich gerade erst zusammengekommen, denn die Abstimmung war nicht sonderlich gut, dementsprechend verloren wir die Partie relativ deutlich in den zu spielenden 40 Minuten. Trotzdem war es einfach ein gutes Gefühl, endlich mal wieder einen Ball am Fuß zu haben. Sogar eine offizielle Spielgenehmigung habe ich bekommen, mit der ich für die laufende Saison spielberechtigt bin.

Als wir nach dem Spiel noch kurz die Partie auswerteten, realisierte ich, wie surreal das alles war. Vor zwei Monaten war ich noch Schüler in Berlin, jetzt saß ich an einem Donnerstagabend mit einer Gruppe mir vollkommen unbekannter Mexikaner mit teils unaussprechlichen Spitznamen auf einem Parkplatz neben einer riesigen Sportanlage mitten in einer mexikanischen Großstadt und verstand von dem, was gesagt wurde, nur die Klischeewörter der mexikanischen Umgangssprache „güey“, was in etwa dem deutschen „Alter“ entspricht, „cabrón“, ein freundschaftliches „Kumpel“ oder „Arschloch“, je nachdem, und natürlich den absoluten Klassiker: „¡No mames!“, in der Bedeutung dem deutschen „verarsch mich nicht!“ sehr ähnlich. Ich verstand an diesem Abend zum ersten Mal so richtig, woher diese Klischees kommen, denn zu mindestens fünfzig Prozent enthielt das Gesagte einen dieser Ausdrücke, häufiger aber noch zwei oder gar alle drei. Was unbedingt festzuhalten ist, ist wie herzlich und freundlich ich aufgenommen worden bin. Dass ich kurze Zeit später im Auto eines Team-Kameraden saß, der uns nacheinander nach Hause fuhr, denn es hatte stark zu regnen begonnen, machte die Situation für mich nicht realer. Am Montag steht dann das nächste Spiel an, diesmal um 9:40. Mal sehen, wie ich das verkraften werde.

Der Tag endete damit, dass ich im Bett lag und versuchte einzuschlafen, als plötzlich mein Bett anfing sich zu bewegen. Um ehrlich zu sein, war das ziemlich angenehm und so schlief ich vollkommen fertig ein. Erst, als ich am nächsten Morgen auf mein Handy schaute, wurde mir klar, was da wirklich passiert war. Das Epizentrum des Bebens lag ungefähr 60km entfernt von der mexikanischen Küste im pazifischen Ozean. Dementsprechend waren auch die beiden Staaten Chiapas und Oaxaca am stärksten betroffen. Das Erdbeben war mit einer Stärke von 8,2 das stärkste seit 1985 in Mexiko. Bis in die weit entfernte Ciudad de México war es zu spüren und zu sehen. Die Folgen sind verheerend, tausende Menschen verloren in dieser Nacht ihre Häuser. In Mérida war das Beben zum Glück nur leicht zu spüren, aber es war zu spüren und das ist ein Umstand, der hier viele Menschen besorgt. Keine der Personen, mit denen ich sprach, hatten in Yucatán jemals ein Erbeben erlebt. Der Grundtenor war, hier habe es noch nie welche gegeben und hier würde es auch keine geben, niemals, das könne gar nicht sein. Zum Glück geht es allen Menschen, die ich in Mexiko kenne, gut.

Nach dieser doch sehr ernsten und tragischen Sache möchte ich jetzt aber noch auf etwas doch Angenehmeres zu sprechen kommen, nämlich meine Arbeit. Wobei, laut der Migrationsbehörde, auf deren Antwort ich im Übrigen immer noch warte, arbeite ich ja gar nicht, sondern helfe lediglich. Jedenfalls, am Montag habe ich das erste Mal im Sportunterricht geholfen. Was bedeutete, ich hatte weder Sportzeug noch Sportschuhe mit, durfte aber immer mitspielen. Bei Catch the Flag, ein Spiel, bei dem es darum geht, die Flaggen des gegnerischen Teams zu stehlen, ohne gefangen zu werden. Ein laufintensives Spiel. In der Sonne. Ich habe dezent geschwitzt. Und anschließend gefroren, denn in den Klassenräumen gibt es Klimaanlagen, die gerne auf 18°C gestellt werden. Am Freitag war dann wieder Sport, diesmal für die restlichen Klassen. Ich hatte aus meinem Fehler am Montag gelernt und mir Sportzeug mitgebracht. Freunde, ich weiß jetzt, warum Menschen Sportlehrer werden! Es gibt ja absolut nichts besseres, als bei schwülen 35°C in Sportklamotten rumlaufen zu dürfen, während alle anderen Lehrer lange Hosen und Schuluniform tragen müssen!

Gut Leute, machen wir Schluss für heute. Ganz viele liebe Grüße wie immer nach Berlin, ganz besonders an meine kleine Schwester, die heute eingeschult wurde, und natürlich an den Rest der Welt. Im Anhang habe ich noch einige Bilder von Mérida, damit man sich mein neues Zuhause ein bisschen besser vorstellen kann.

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