Schokohasen für die Aktionäre
Mein Wecker klingelt. Schon 19:45? Bereits der 09. Mai? Wie lange habe ich geschlafen? Mit noch zugekniffenen Augen kann ich die Erinnerungsnachricht auf dem kleinen Bildschirm, die mir der Geschäftsführer dieses Blogkonzerns vor sechs Wochen in den Kalender gedrückt hat, kaum entziffern. Letzte Deadline für einen Blogeintrag, oje. Mir bleibt nicht viel zu meiner Verteidigung zu sagen, warten die Aktionäre doch darauf, dass die Aufrufzahlen einmal jenseits der zehn(millionen) zu verorten sind. Hastig tippe ich den folgenden Text in meine Tasten:



Der lange Schlaf tat gut, doch nach all der Zeit muss man ganz schön auf die Toilette. Und Hunger hat man auch. Die Milch im Kühlschrank ist aufgebläht und nach kurzem Schütteln fallen ein paar klebrige Klumpen gefolgt von einem weißen, stechend riechenden Saft aus der Packung. Hastig eile ich zum Supermarkt. Da die Straßen ganz wie immer nicht stark befahren sind, komme ich auf meinem Drahtesel schnell vorwärts. Während ich mein Fahrrad an der Laterne neben dem Einkaufscenter anschließe, kommt seelenruhig ein hünenhafter Offizier in blauer Uniform auf mich zugeschlendert.
„Wou ass Är Mask?“ fragt er mich unaufgeregt mahnend. „Mask?“ werfe ich ihm die Frage unreflektiert zurück. Kurz rollt er die Augen gen Himmel und versucht daraufhin ungeschickt mit seiner Hand, die in einem Handschuh steckt, aus seiner viel zu kleinen Hosentasche, eine Maske rauszuziehen. Schließlich gelingt es ihm und der Polizist, dem die rechte Hosentasche nun wie ein getrockneter Spüllappen aus der engen Hose hängt, setzt mir den Atemschutz auf. Mit dem Wort „Oppassen!“ entlässt er mich in Richtung Supermarkt.



Nach all der Zeit habe ich ganz vergessen, wo in diesem riesigen Laden all die Produkte standen, die ich für meine wöchentliche Versorgung so dringend benötige. Auf meinen vielen Umwegen und verwirrten Abzweigungen, die ich vollziehe, lerne ich erst die sagenhafte Leistung des Offiziers zu schätzen. In meinem Kopf überschlage ich die Zahl der anwesenden Kunden und wie viele wohl jede Minute diesen Laden betreten. Dass er dabei so ruhig und freundlich jedem Einzelnen eine Maske persönlich umschnallt kann man ihm sicherlich nur hoch anrechnen. Auf der Suche nach dem Brot schießt es mir wie ein Blitz durch den Kopf. Jetzt scheint mich die Erinnerung eingeholt zu haben, die ich schon für immer verloren geglaubt hatte. Zum Brot musste ich nämlich erst beim Trockenobst rechts und dann am fürchterlich riechenden Fischstand, wo auch die Garnelen liegen, vorbei. Auch begreife ich jetzt, welch ein Glück es ist diese Maske zu tragen, denn sie schützt mich vor dem Gestank, der sich sonst in seiner Bewegungsfreiheit völlig entfaltend, in jede meiner beiden großen Nasenlöcher, die fast schon Nüstern ähneln, auf ewig eingenistet hätte. So stolziere ich mit breiter Brust und nicht ohne triumphierenden Blickes vor den Mitarbeitern der Poissonnerie einher. Aus Freude drehe ich noch einmal um und wiederhole die Prozedur, was, so erahne ich es nur aus meinem seitlichen Blickfeld, denn ich vermeide es tunlichst den Herren in die Augen zu blicken, mit resignierenden Blicken zur Kenntnis genommen wird. Nachdem ich wie sonst auch immer jedes einzelne Baguette mit meinem Händedruck auf seine Frische getestet habe, greife ich freilich zum weichsten, in der Hoffnung, dass es auch Sonntag noch eine gute Grundlage für mein wohlverdientes Frühstücksbrot gibt.
Der jährliche Kampf
Das Unterfangen, welchem ich schließlich an der Kasse konfrontiert bin, ist dagegen komplizierterer Natur, denn die dort arbeitende Dame zieht die Waren schneller über ihren Schalter, als ich sie wohlgeordnet in meinem Rucksack unterbringen zu vermag. Ich habe die schweren Produkte, wie zum Beispiel Glasflaschen ganz nach unten in den Einkaufskorb gepackt, um die danach ausgewählten Bananen und Tomaten nicht zu zerquetschen. Dies hat jedoch zur Folge, dass nun, die Kassiererin hatte bereits eifrig angefangen mein Obst zu scannen, die schweren Produkte als letzte auf dem Band landen, obwohl sie doch wieder als erste in den Rucksack gehören. Dadurch, dass letztendlich auch noch nicht alle Produkte in die Tasche zu passen scheinen, steht mir der Schweiß leuchtend auf der Stirn. Kaum habe ich den in Plastik verpackten Rucola doch noch in den letzten Winkel an der Außenseite meines Rucksacks gesteckt, ich musste ihn dafür leicht öffnen, damit die Luft entweichen konnte, da zieht die Kassiererin eine riesige Box voll Schokohasen aus dem Regal an ihrer Seite. Meinem panischen Blick entgegnet sie, dass ich mir keine Sorgen machen muss, denn dies ist ein Überbleibsel von Ostern und kann mir deswegen gratis mitgegeben werden. Dass meine Taschen bereits zum Bersten gefüllt sind, scheint sie nicht zu interessieren. Es macht „Biep“ und die Osterhasen werde ich auf meinem Fahrradlenker balancieren müssen. Ich hoffe, dass mir nach dem 23. Juni, dem Nationalfeiertag Luxemburgs, keine rot-weiß-hellblauen Flaggen und Wackelköpfe der Royals hinterhergeworfen werden, weil sie nicht über die Ladentheke gehen wollten.
Nur einen Schritt nachdem ich die Einkaufspassage verlassen habe, entgegnet es mir vergnügt: „Hutt Dir alles fonnt?“ „Natierlech, meng Kommandant!“ entgegne ich den einzigen Satz, den ich auf Luxemburgisch beherrsche und mache mich auf zwei Rädern eiernd auf den Weg nach Hause. Dort angekommen beiße ich in den Marshmallow-Schoko-Osterhasen, der mir geschenkt wurde und dessen weiße, poröse Stellen an den Ohren wohl normalerweise nicht zum Produkt dazugehören. Ich wünsche mir, ich hätte ihn vorher noch in die Milch getunkt, die ich vor wenigen Stunden noch in den Abfluss schüttete. Das hätte ihn in seinem Geschmack vielleicht abgerundet. Möglicherweise bringe ich die Übrigen als Teil der Dividendenausschüttung zur Aktionärsversammlung meines Blogimperiums in wenigen Tagen mit.
André
09.05.2020


One Comment
kklike
Oh Gott, dass kann mman unmöglich ohne Lachkrampf lesen! 😂