Luxemburg

Lëtzebuerg: Nummer 1 von ungewiss

Die Tür stand halb offen, als ich neugierig aus dem Fahrstuhl schmulend meine vielen Gepäckstücke in Richtung des Eingangs manövrierte. Auf dem kurzen Weg kratzte mein Koffer, den ich in der linken Hand festhielt, einen Teil des Putzes ab, während der Hals meiner Gitarre, die in meiner anderen Hand lag, freudig hin und her schwenkte. Kaum stand ich vor der Tür, hieß mich ein älterer Herr, sicher schon über die siebzig hinaus, willkommen. In dem Moment gehen einem sehr viele verschiedene Gedanken durch den Kopf und alle haben eine Gemeinsamkeit. Fast schon panisch versuchen sie aus möglichst wenigen Informationen, möglichst genau die Zukunft zu prognostizieren. Älterer Mann, heißt das es gibt kein Internet? Älterer Mann, muss ich ihm beim Rückenschrubben helfen? Älterer Mann, schaut er ruhig fern und geht er erstens früh ins Bett und zweitens als mein leisester Mitbewohner in die Annalen ein? Die Fragen sind mir fast schon peinlich, doch was will man machen, so verhielt es sich nun mal in meinem Kopf. Der Herr hatte übrigens den wohlklingenden Namen Dagoberto Moreira Formiga und war gebürtiger Lissabonner. Prompt führte er mich auch schon durch mein neues Domizil, angefangen bei meinem Zimmer mit Balkon, hin zu der Küche und dem Bad, das wir uns teilen sollten. Ich kam natürlich auch nicht mit leeren Händen in seine Stube, sondern habe ihm als Gastgeschenk zwei berliner Bierchen mitgebracht. Schade, dass er sie nicht jetzt, sondern später mit mir leeren wollte.

Kurze Zeit später stand ich wieder vor der Wohnungstür. Dieses Mal mit dem neuen Schlüssel in meiner Hand und gerade dabei die Tür zu öffnen. Ich stellte mich natürlich wie so oft selten dämlich an und schaffte es nicht die Pforte zu meinem Glück zu öffnen. Kurz kam mir sogar der Gedanke, er hätte mir den falschen Schlüssel gegeben und mich jetzt böswillig ausgesperrt – meine ganzen Sachen hatte ich nämlich schon drinnen abgelegt. Woher kam eigentlich neuerdings dieses kategorische Misstrauen? Jedenfalls öffnete mir Dagoberto selbstverständlich die Tür und erklärte dem urbanen Nichtskönner wie man eine Tür öffnet. Ach, so geht das! Kaum betrat ich erneut die Wohnung ließ ich sie noch einmal auf mich wirken. Sie roch ein bisschen alt und sah auch etwas so aus, versprühte somit aber auch ein ganz angenehmes, beruhigendes Flair. Die Zimmer waren aufgeräumt, alles hatte seinen Platz und es gab sogar eine Waschmaschine, sowie Internet. Meinen panischen Gedanken von vorhin konnte ich also guten Gewissens beiseite schieben. Bis zu dem Zeitpunkt konnte mir die Wohnung nur gefallen – sie war höchstens 15 Minuten mit dem Bus von meiner Arbeitsstelle entfernt, kostete nicht allzu viel und hatte auch noch einen privaten Balkon für mich – was wollte ich mehr!

Während ich ruhig meine Sachen vom Koffer in das kleine Regal räumte, ging mir noch einmal der heutige Tag durch den Kopf. Er begann sehr traurig mit einer Verabschiedung und verlief dann weitestgehend unaufgeregt. Weder befanden sich in dem Bus schreiende Babys noch telefonierende Menschen. Durch das Fenster erhaschte ich ein paar Blicke von Frankfurt, Mainz, Trier und einer Tankstelle mit angebundener Fastfoodkette, das war es dann aber auch schon der Aufregung. Nervös wurde ich erst, als der Bus nach elf Stunden in Luxemburg einfuhr und mich samt meinen Sachen auslud. Obwohl es schon dunkel war, gestaltete sich der Weg zur Unterkunft, in der ich nun säuberlich meine Unterhosen ins dritte Regalfach von unten legte, als nicht sonderlich schwierig. Die Stadt, so viel konnte ich schon erahnen scheint nachts recht ruhig und friedlich zu liegen. Ich gelangte an die Eingangstür, klingelte und stieg in den Fahrstuhl – der Rest ist bekannt. Ach ja, die Unterhosen habe ich jetzt doch ins vierte Fach von unten gelegt, man weiß ja nie.

Erschöpft, noch etwas traurig, aber auch zufrieden ein wenig mehr Gewissheit über meinen Aufenthalt erlangt zu haben, ruhte ich mich daraufhin aus. Just in dem Moment, in dem ich diese Zeilen niederschrieb, saß mein neuer Mitbewohner übrigens ruhig vorm Fernseher, um kurz darauf ins Bett zu gehen – immerhin einer meiner vielen panischen Gedanken hat sich bewahrheitet – und es konnte mir ganz recht sein.

André

Wohinnoch? ist ein Reiseblog, in dem wir mit ausgiebig Zeit die weniger beachteten Orte dieser Welt besuchen.

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