Frankreich

Auf dem Weg nach Lille

Mit dem Ziel Lille im Kopf verlasse ich meine Unterkunft in Calais. Mein Host Adib begleitet mich auf meinen letzten Metern durch die Stadt am Ärmelkanal. Da heute Sonntag ist, spiele ich mit dem Gedanken endlich in die englische Notre Dame hineinschauen zu können. Adib will draußen warten, da er aufgrund seines muslimischen Glaubens keine christlichen Kirchen betreten darf. Es kommt aber auch gar nicht so weit, denn auch für mich ist der Eintritt heute versperrt. Anscheinend ist die Frauenkirche auch heute nicht geöffnet und so werde ich wohl nie herausfinden, was sich im Inneren dieser Burgkirche verbirgt.

Nachdem wir gemeinsam noch einen Kaffee trinken, kaufe ich mir das Bahnticket nach Lille und verabschiede mich langsam von Adib. Da er einen kaputten Rücken hat, kann er nicht mehr arbeiten gehen, doch jetzt will er damit anfangen Zimmer zu vermieten und wittert darin ein gutes Geschäft. Ich war sein erster Gast und bereits gestern hat ein Mann seine Unterkunft für satte 25 Tage gebucht. Wir wollen noch ein Foto zusammen machen und fragen einen jungen Mann, der neben uns steht, ob er so freundlich wäre ein Foto zu schießen.

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Von links nach rechts: Der afghanische Flüchtling, ein Freund Adibs und mein Gastgeber Adib

Ich habe seinen Namen leider schon wieder vergessen, aber wir begegnen einem afghanischen Flüchtling, der heute den gleichen Weg wie ich hat. Nachdem wir uns von Adib verabschieden, rede ich mit ihm über seine Vergangenheit und Gegenwart. Er kommt aus Kabul, der Hauptstadt Afghanistans und ist der Gewalt geflohen. Er sprach von einschlagenden Bomben und Hoffnungslosigkeit, während seine Stimme etwas mehr ins Stocken geriet und seine Augen feuchter wurden. Ohne ihn zu sehr wieder mit allem konfrontieren zu wollen, reden wir dennoch über seinen Weg nach Frankreich. Sein Englisch ist nicht exzellent, und meine Fragen kommen nicht immer an, aber ich konnte erfahren, dass er über den Iran, die Türkei, Bulgarien, Serbien, Österreich und Deutschland nach Frankreich geflohen ist.

Es hat mich sehr erleichtert, dass er meinte, dass ihm Deutschland sehr gefallen hat, weil die Leute sehr freundlich zu ihm waren. Generell sei es dort einfacher als in Frankreich gewesen Englisch zu sprechen. Doch er hat keine Aufenthaltspapiere bekommen und musste weiter nach Frankreich. Jetzt versucht er bis nach England zu kommen. Er liebt seine Heimat und will unbedingt wieder zurück, wenn dort wieder Ordnung herrscht. Kurz vor der Endstation kriegt er einen Strafzettel in Höhe von 100€, ohne jegliche Worte der Schaffnerin. Für jetzt wünsche ich ihm alles Gute und dass er schnell ein zweites zuhause finden wird.

Unsere Wege trennen sich in Lille und ich laufe zu meiner Unterkunft. Lille selbst ist eine Nummer größer, als die Städte in denen ich bisher auf meiner Reise war (Berlin und Paris ausgeschlossen). Unweigerlich wird man hier mit schönen, alten und vor allem hohen Gebäuden konfrontiert. Ich warte auf meinen Gastgeber vor seiner Wohnung. Dieses Mal couchsurfe ich, was heißt, dass ich bei jemandem in der eigenen, privaten Wohnung übernachte und dafür auch kein Geld zahlen muss. Das System dahinter ist, dass Reisende sich gegenseitig helfen, wenn sie jeweils auf Reisen oder eben zuhause sind. Mit meinem Gastgeber, Guillaume, bin ich sofort auf einer Wellenlänge. Er selbst hat auch schon in Deutschland gelebt und sein Deutsch kann sich im Vergleich zu meinem Französisch echt sehen lassen.

Ich gehe noch ein wenig durch die Stadt, doch das meiste werde ich morgen erkunden – schließlich habe ich dafür einen ganzen Tag Zeit. Für heute Abend lädt mich mein Gastgeber bei seinen Freunden zum Essen ein. Es ist echt erstaunlich wie viele und vor allem wie gut diese vielen Leute hier Deutsch sprechen können. Eine Französin in der Runde hat sich sogar einen leichten sächsischen Akzent angeeignet, da sie dort für mehrere Monate lebte. Bei einem super leckerem Ratatouille und französischem Wein findet auch dieser schöne Abend irgendwann sein Ende und so bin ich froh, dass der größte Teil des Blogeintrages schon geschrieben ist, als ich nach Hause zurückkehre.

Wohinnoch? ist ein Reiseblog, in dem wir mit ausgiebig Zeit die weniger beachteten Orte dieser Welt besuchen.

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