Janal Pixán
Bevor Ihr anfangt zu lesen, versichert euch bitte, dass Ihr genügend Zeit eingeplant habt. Ich entschuldige mich bereits im Vorfeld, für die unverhältnismäßige Länge dieses Beitrags, aber es ist auch ein entsprechender Anlass, deshalb viel Spaß beim Lesen!
Wer diese Woche einmal einen Blick in einen mexikanischen Kalender geworfen hat, wird rot angestrichen sofort den Día de Muertos, den Tag der Toten, gesehen haben. Es handelt sich um einen enorm wichtigen Feiertag, an dem der Toten gedacht wird. Für viele Mexikaner ist dieser Tag der wichtigste Tag im Jahr, wichtiger als Weihnachten. Mexiko ist ein großes Land und logischerweise unterscheiden sich die Arten, das Fest zu feiern je nach den jeweiligen kulturellen Einflüssen in den verschiedenen Regionen. Bekanntermaßen war und ist Yucatán Mayagebiet und so verwundert es nicht, dass hier überwiegend die dem Maya entstammenden Bezeichnung Janal Pixán gebraucht wird. Übersetzt bedeutet dieser Name Essen der Seelen.
Bereits in der Woche vor dem eigentlichen Feiertag werden in Méridas Zentrum die Feierlichkeiten eingeläutet. Auf der Plaza Grande errichten Bewohner ganz traditionell kleine Holzhütten und darin Altare zu Ehren der Toten. Wie so ein Altar aufgebaut ist, werde ich später noch erklären. Mir wurde ganz dringend angeraten, das Zentrum zu besuchen, um mir den Paseo de los Ánimas anzusehen, weshalb wir am Freitagabend uns auf dem Weg in die Innenstadt machten.
Dort angekommen parkten wir das Auto in einem der vielen Parkhäuser und machten uns auf in Richtung eines Parks, den die Prozession passieren sollte. Je näher wir dem Park kamen, desto voller wurde es auf den Straßen. Immer mehr Leute mit zu Totenköpfen geschminkten Gesichtern liefen an uns vorbei und es dauerte nicht lange, bis die ersten kleinen am Straßenrand aufgebauten Altare erschienen. Mittlerweile waren die Straßen rappelvoll, überall gab es kleine Stände, die Essen verkauften. Wir kamen an eine Kreuzung, an der eine Bühne aufgebaut war, einige Mariachis stiegen gerade die Treppe herab. Und dann erschienen zwei riesige Skelette am Ende der Straße. Langsam kamen sie auf uns zu. Ihnen folgten hunderte Menschen mit geschminkten Gesichtern, die traditionelle Kleidung trugen und häufig Kerzen hielten. Begonnen hatten sie mit einer Messe auf einem Friedhof und nun zogen sie in Richtung des Stadtkerns.
Eine ältere Frau bot mir an, mich ebenfalls zu schminken und ich willigte sofort ein. Ich bedankte mich ganz herzlich und wir machten uns los, um der Prozession hinterherzulaufen. Die großen Skelette hatten mittlerweile ihren Schlusspunkt erreicht und sich in einem Park postiert. Auf einer Bühne spielte eine Band, Essen wurde verkauft und auf einem kleinen Spielplatz spielen verkleidete Kinder. Es war wirklich eine außergewöhnliche Atmosphäre. Wir beschlossen, nun auch was Essen zu wollen und ließen den Ausflug in einer Taqueria ausklingen, bevor wir wieder nach Hause fuhren.
Mein eigentlicher Plan für Freitag war gewesen, ins Kino zu gehen. Das verschob ich auf Samstag und mir fiel auf, dass besonders der Film Coco zu nahezu jeder Uhrzeit lief. Trotzdem entschied ich mich dazu, El Informante zu sehen. Der Film über die Ermittlungen zur Watergate-Affäre war interessant, auch wenn ich aufgrund der Sprache und meiner Unwissenheit über dieses Thema nicht alles verstand. Am Sonntag während des wöchentlichen Essens mit den Großeltern wurde ich gefragt, ob ich abends mitkommen wolle, um Coco zu gucken. Da ich mich zu einem begeisterten Kinogänger zu entwickeln scheine, lehnte ich natürlich nicht ab.
Ich liebe diesen Film! Es wird die Geschichte eines Jungen erzählt, dessen größter Traum es ist, Musiker zu werden, doch wegen seines Ur-Ur-Großvaters, der die Familie verließ, um seinen Traum von einer erfolgreichen Karriere als Musiker zu verwirklichen, wird dies seitens seiner Eltern nicht geduldet. Wie so typisch für einen Disneyfilm beginnt ein mitreißendes Abenteuer rund um die Feierlichkeiten des Día de Muertos, dessen Verlauf ich nicht spoilern möchte. Ein relativ junger Lehrer meiner Schule meinte zu mir, er hätte angefangen zu heulen, weil er den Film so schön fand, er hätte seine Familie wiedererkannt. Coco verdeutlicht die Bedeutung dieses wunderbaren Feiertages auf beeindruckende Art und Weise, vor jeder Vorstellung und nach jedem Trailer zum Film, der ausnahmslos überall läuft, verkündet eine Stimme vom großen Stolz, Mexikaner sein zu dürfen. Ich empfehle wirklich allen, sich den Film anzugucken! Am 30. November kommt er in die deutschen Kinos. Geht hin! Das ist ein Befehl! Mich veranlasste der Film dazu, auf dem Altar des Hauses auch ein Foto von Opa aufzustellen, weil mich diese Geschichte so berührt hat, dass ich diesen Tag ab jetzt auch feiern möchte.
Am Mittwoch wurde das Fest ganz groß bei mir in der Schule gefeiert. Bereits vormittags war die Freude darauf allgegenwärtig. Alle Klassenräume wurden geschmückt und für die Feier mit den Familien am Abend vorbereit. Aber seht am besten selbst, wie schön alles geworden ist.
„Meine“ dritte Klasse hatte viele kleine Altare angerichtet, jeder Schüler einen für ein verstorbenes Familienmitglied. Der große Altar im Zentrum wurde von einer Maya-stämmigen Lehrerin aufbereitet, die ihn ihren Großeltern gewidmet hatte. Dazu kamen dann neben dem hier obligatorischen grünen Kreuz, das den Ceiba-Baum, den heiligen Baum der Maya, repräsentiert, noch persönliche Gegenstände der Verstorbenen oder Speisen beziehungsweise Getränke, die sie gerne aßen oder tranken. Denn an diesem Tag kommen die Seelen, um den Tag zusammen mit ihren Familien zu verbringen.
Abends hatten sich alle herausgeputzt, die meisten Frauen und Kinder trugen, wie im Bild zu sehen, typische Gewände der Maya. Auf einer Bühne gaben der Gitarrenkurs und Theater-AG etwas zum Besten, direkt nachdem Schüler ganz detailliert den korrekten Aufbau eines Altars und die Geschichte des Tages erklärt hatten.
Doch das war noch nicht alles. Die gewählte Schülervertretung (sie war nach einer erstaunlich großen Kampagne gewählt worden und es war ein Theater sondergleichen darum gemacht worden, mir war es wegen meiner Deutschen-Staatsbürgerschaft nicht einmal gestattet gewesen, mich in der Nähe des Wahllokals aufzuhalten) löste ein Wahlversprechen ein. Ein Gruselkabinett. Sagen wir es so, hätte ich vorher gewusst, welche Folgen das für meine armen Stimmbänder hat, hätte ich mich nicht weich schlagen lassen und die Rolle des Gruselclowns abgelehnt. Jedenfalls ließ ich mich entsprechend schminken und brüllte mir zusammen mit einigen Schülern mehr als eine Stunde lang die Seele aus dem Leib. Da ich gebeten worden war, auf Deutsch zu schreien, schmiss ich den Kindern hasserfüllt abwechselnd Rezepte und Komplimente an den Kopf, was aber allgemein als Morddrohung aufgefasst wurde und zusammen mit Hilfe der Schüler auch die ein oder andere Träne bei den kleineren Besuchern hervorrief. Jedenfalls konnte ich den kompletten nächsten Tag eigentlich nur flüstern.
Zum Glück ist der Tag frei gewesen, was ich erst einmal zum Ausschlafen nutzte, bevor wir zu den Eltern meines Gastvaters fuhren, um gemeinsam Pib zu essen. Pib ist das traditionelle Essen für diese Tage in Yucatán. Eine Teigmasse wird gefüllt mit Hähnchen, einer für mich undefinierbaren Masse und noch einigen anderen Zutaten. Das ganze wird dann in Blätter einer Bananenstaude eingewickelt und unterirdisch gebacken. Die Zubereitung durfte ich am Freitag in der Schule sehen. Zwei Damen bereiteten unzählige Pibes vor den Augen der Lehrer und Schüler zu. Kurz vor Schulschluss bekamen dann alle Schüler ein Stück. Die Lehrer saßen dann nach Schulschluss noch nett zusammen und genehmigten sich auch etwas davon und plauderten noch nett miteinander.
Wer mehr Details möchte, dem empfehle ich eine ausführliche Internetrecherche, denn ich erhebe bestimmt keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder Korrektheit der angegebenen Informationen, ich wollte lediglich wiedergeben, wie ich diese Tage wahrgenommen habe. Ich hoffe sehr, dass es mir zumindest teilweise gelungen ist, die Stimmung einzufangen und Euch daran teilhaben zu lassen. Ich wünsche allen alles erdenklich Gute und sende meine Grüße wie immer raus in die Welt!

