Tansania

Mwanza am Viktoriasee

Über einen halben Tag lang rätsele ich, was diese ominösen Zahlen vorne am Bus zu sagen haben: 1934, 0315, 2017. Die erste Zahl ändert sich dauernd und ich stelle sofort beim Einsteigen fest, worum es sich dabei handelt: Die Uhrzeit. Um herauszufinden, wofür die anderen beiden Zahlen stehen benötige ich gute 14 Stunden.

Ich sitze im Bus und fahre von Moshi am Kilimandscharo aus nach Mwanza – der Hauptstadt des gleichnamigen Verwaltungsgebietes. Die Stadt beherbergt rund 700.000 Einwohner und liegt direkt am zweitgrößten Süßwasser See der Erde, dem Viktoriasee. Der Viktoriasee, früher fälschlicherweise als die Quelle des Nils bezeichnet, lässt sich jedoch besser als Meer beschreiben, da er fast so groß wie Österreich ist. In Mwanza werde ich meine letzten Tage verbringen. So schnell geht das. Gerade war ich noch auf Sansibar und habe den deutschen Mädels dabei zugehört, wie sie mir erzählten, dass ihre Reise jetzt leider vorbei ist und ich ja so glücklich sei, da alles noch vor mir liegt und SCHWUPPS! Jetzt fliege ich in zwei Tagen nach Deutschland zurück.

img_20170315_053338.jpg
Tschüss aus Moshi!

Wie verbringt man gute 16 Stunden im Bus? Die Tatsache, dass ich immer nur genau einmal im Bus einschlafen kann bestätigt sich jedenfalls erneut. Leider schlafe ich direkt am Anfang nur eine Stunde. Die nächsten 15 Stunden muss ich dann wohl wach bleiben und Musik hören. Gesagt, getan, gehen die Stunden jedoch relativ fix vorbei. Es soll ja auch nicht das letzte Mal bleiben, dass ich solange warten muss. Ratet mal, warum ich gerade Zeit habe diesen Blogeintrag zu schreiben!

Zwei Stunden bevor mein Bus endlich in Mwanza ankommt, habe ich die Erleuchtung. Na klar! 0315 steht für den 15.März und 2017 ist nicht die voraussichtliche Ankunftszeit 20:17, sondern das Jahr! Immerhin ein Erfolgserlebnis am Tag für mich. Denn es bleibt das Einzige. Als mein Bus um 21Uhr an einer Tankstelle in Mwanza anhält, steige ich aus und suche meinen Gastgeber im Tumult von Taxifahrern. Japhet heißt der gute Mann und nachdem ich ihn gefunden habe setzt er mich in sein Auto. Die Fahrt zur Unterkunft kann losgehen. Ich kann es kaum erwarten, mich nach der langen Fahrt ins Bett zu fläzen. Ich stelle mir schon genau vor, wie gemütlich die Matratze ist und wie lange ich wohl schlafen werde, doch der Motor des Autos spielt dieses Spiel nicht mit. Wir müssen eine gute halbe Stunde warten, bis der Motor gekühlt und wieder bereit für die 20 minütige Fahrt ist. Irgendwann erreichen wir dann tatsächlich die Unterkunft und ich bin heilfroh, in einem Bett liegen zu können. Das „Liegen zu Sitzen-Verhältnis“ war heute sehr unausgeglichen, das muss jetzt erst einmal angepasst werden!

 

Ich habe einen Tag in Mwanza und diesen will ich gut nutzen. Im Vordergrund steht dabei ganz klar die Suche nach einem guten Aussichtspunkt, von dem man auf den Viktoriasee gucken kann. So fahre ich mit den sehr billigen örtlichen Bussen, den „Dalla-Dallas“ in die Innenstadt hinein und mache mich auf den Weg. Die hügelige Stadt ist von unzähligen, großen, an Asterix und Obelix erinnernden „Hinkel“-Steinen geprägt. Auf dem Weg auf einen Hügel laufe ich an einer Gruppe Menschen vorbei, die versammelt um eine junge Frau steht, die regungslos auf dem Boden liegt. Etwas überfordert entscheide ich mich nicht nachzufragen was los ist. Ich will nicht störend erscheinen und da ich nicht mehr helfen kann, als die Menschen drum herum, laufe ich weiter.

 

Ich setze mich auf einen der großen Steine und blicke bei einer Menge Wolken am Himmel auf den See. Ich sehe nur eine kleine Bucht des Sees, kann aber praktisch spüren, welche Ausmaße er unweit von der Bucht annimmt. In meinem schlauen Reiseführer lese ich, dass vor ein paar Jahrzehnten der Nilbarsch in den Viktoriasee eingesetzt wurde. Man hatte sich erhofft, dass der Nilbarsch die kleineren Fischarten aufisst und somit das Wachsen von weiteren größeren Fischarten begünstigt. Jedoch verschlang der Nilbarsch, der sich sehr schlecht zubereiten lässt, auch die größeren Fischarten und setzte sich als einzige Spezies im See durch. Die Einheimischen, die auf den Fischfang ausgerichtet sind beklagen die magere Ausbeute von Fischen im Netz. Einzig allein der Nilbarsch ist bei jedem Fang im Netz, das er aufgrund seines Gewichts allerdings häufig zerreißt. Mangel an Feuerholz führt dazu, dass der bis zu 2 Meter große Nilbarsch nicht richtig geräuchert werden kann. Armut, Hungersnot und die Abhängigkeit zu großen internationalen Unternehmen, die sich anständige Fischernetze leisten können, Kapital mit dem Export der Fische generieren, aber nicht in die lokale Wirtschaft investieren, sind die Folge. Das Abwasser, welches ungefiltert aus den Toiletten der Stadt in den See fließt und eine Algen- und Moskitoplage verstärkten das Übel immer mehr.

img_20170316_123242.jpg

Auf dem Weg zu einem chinesischen Restaurant sehe ich Kindern im See, der als Auffangbecken aller möglichen Krankheiten gilt, baden. Einige der Kinder komme zu mir und betteln nach Essen. Ich erinnere mich, in einem vorherigen Blogeintrag geschrieben zu haben, dass die Leute in Tansania nicht hungern. Das gilt vielleicht für weite Teile der Westküste, trifft jedoch nicht für jedes Gebiet zu. Das Umland des Viktoriasees lässt sich nur schwer beackern und so hungern einige Leute in Mwanza. Tansania gilt weiterhin als eines der ärmsten Entwicklungsländer auf der Welt, auch wenn sich das die Leute oft nicht anmerken lassen.

Ich sitze im Restaurant und blicke auf den „Bismarck-Rock“, der zu Ehren vom deutschen Otto von Bismarck so getauft wurde, da er genauso wie der Reichskanzler ein Fels in der Brandung ist. Nach dem Essen schaue ich mich noch einmal in der Stadt um, besuche den Markt und kaufe sogar ein T-Shirt als Souvenir. Der Händler, der ein Foto von mir im Shirt gemacht hat, scheint mein Handy zu gefallen, denn er fragt mich, ob er es mir abkaufen kann.

 

Es ist schon Nachmittag und so fahre ich, auch aufgrund mangels weiterer Sehenswürdigkeiten, zurück zu meiner Unterkunft. Ich entschließe mich dazu, den Tag im Malaika-Beach-Resort, einem edlen Hotel mit Strand ausklingen zu lassen. Die Hotelanlage kann man in Tansania stets gegen einen schmalen Taler benutzen und so bewahre ich meine Tradition, am letzten Tag einer Reise, am Strand den Sonnenuntergang zu beobachten. Die Sonne jedoch verschwindet heute, noch bevor sie untergeht hinter den Wolken und ist nicht zu sehen, als sie hinter dem Horizont verschwindet. Die Wolkendecke lässt nicht mal den seichtesten, rötlichen Farbton passieren.

 

Ich denke nach über die Zeit in Tansania und lasse jeden Tag Revue passieren. Ich hatte eine schöne Zeit und habe diese sehr gut genutzt. Ein bisschen traurig stehe ich am Strand, gehe mit den Füßen nochmal in das warme Wasser und drehe mich dann nach einer Weile um und mache mich auf den Heimweg. Zuhause erklärt mir mein Host Japhet in einem sehr interessanten Gespräch noch die politische Situation in diesem Land und wie gefährlich es ist, hier als Journalist zu leben. Sogar ein Gedicht, welches so ähnlich wie damals die systemkritischen Gedichte in der DDR geschrieben ist, liest er mir vor und erklärt es mir. Der Autor hat dabei seine Kritik in Worte verpackt, die nach einmaligem Hinschauen erstmal keine Kritik vermuten lassen – doch dazu später mehr. Ich habe mir vorgenommen, auch nach meinem Aufenthalt noch ein paar Einträge zu diesem Land und meiner Reise zu schreiben. Ein letztes Mal schließe ich in Tansania die Augen für mehrere Stunden.

 

img_20170316_204135.jpg
Das Gedicht. Wer lesen will, kann es jetzt tun.

Mein Flieger verlässt Mwanza heute um 12:15 Ortszeit. In der Datenbank des Personals heißt es, ich würde nur bis nach Amsterdam fliegen, aber durch einen handgeschriebenen Gepäckzettel hoffe ich jetzt, dass mein Koffer in Berlin ankommen wird. Kurz bevor der Flieger in Richtung Arusha abhebt, fängt meine Nase an fontänen-artig zu bluten. Ich muss lachen und werde mit ausreichend Taschentüchern versorgt. Manchmal bin ich echt überrascht, wie kreativ das Leben so sein kann. Gestern noch habe ich mir vorgestellt, wie ich in Richtung Heimat abhebe und episch auf den Viktoriasee gucke. Nun sitze auf der falschen Seite im Flieger und sehe nur eine Steppe während das Blut aus meiner Nase läuft. Touché Leben, touché! Ich bin immer wieder überrascht!

 

In Arusha bleibe ich im Flieger sitzen, da dieser nach einer halben Stunde Wartezeit erneut Richtung Nairobi abhebt. Ich habe im Internet gelesen, dass es im Flughafen von Nairobi eine Lounge gibt, in der man übernachten kann. Von den 60$ pro Nacht stand dort nichts geschrieben. Also verharre ich die nächsten 17 Stunden doch auf einer Sitzbank, bis ich endgültig den afrikanischen Kontinent verlassen werde.

André, 17.03.2017 – Nairobi Airport – Kenia

Wohinnoch? ist ein Reiseblog, in dem wir mit ausgiebig Zeit die weniger beachteten Orte dieser Welt besuchen.

Kommentar verfassen

Translate »
%d