Tansania

Zu Gast bei Freunden

Bevor ich heute in die Kirche zu der Sonntagsmesse gegangen bin, zu der ich eingeladen wurde, war mir noch gar nicht bewusst geworden, dass ich noch nie auf einer Messe war. Aus Verlegenheit habe ich mir also ein rotes Hemd angezogen und war mir nicht einmal bei der Farbauswahl sicher. Ist rot nicht die Farbe des Teufels? Kann ich das so tragen? Lange oder kurze Hosen? Die Hitze hat mir beigebracht, weniger nachzudenken und so ging ich im roten Hemd und in kurzer Hose zur Messe.

Noch bevor es eigentlich richtig losging, hat mich die Band nach vorne beordert und gemeint ich solle mal ein paar Rocksongs auf der Gitarre spielen. „Spiel mal was!“ ist ja der Satz, den Gitarristen am meisten hassen. Zum Glück bin ich kein Gitarrist und so fing ich einfach an Personal Jesus zu spielen. Kurz vor der Messe. In meinem Kopf sind schon wieder Gedanken, ob der Song jetzt angebracht ist. Egal, jedenfalls haben wir beim jammen ein wenig die Zeit vergessen und so spielen wir noch, als die Glocken der Kirche läuteten. Jetzt aber schnell zurück auf meinen Platz!

Es folgte eine zweieinhalb stündige Aufführung in der gebetet, gesungen, geklatscht, gelacht, geschwiegen und gehandelt wurde. Einerseits konnte ich total nachvollziehen warum all diese Leute jeden Sonntag in die Kirche gehen. Denn hier entsteht ein tiefer und fest verwurzelter Zusammenhalt einer Gemeinschaft. So sehr mir die Vorstellung gefiel, so sicher bin ich mir auch, dass ich nie freiwillig in solch eine Vorstellung in Deutschland gehen würde. Denn sie passt irgendwie nicht in meine Welt. Der fehlende Glaube an Gott ist der Hauptgrund. Außerdem existieren in Deutschland keine Dorfgemeinschaften mehr als Rückhalt. Also jedenfalls nicht in Berlin. Ich kenne ja nicht mal die Nachbarn eine Hausnummer weiter!

Auch heute sollte ich mich noch einmal vor allen Anwesenden vorstellen. Ich bedankte mich ausdrücklich für die unglaubliche und nicht selbstverständliche Gastfreundschaft und hoffte, dass ich korrekt übersetzt wurde.

Als Teammitglied war ich ganz besonders fasziniert von „meiner“ Band, die immer dann für Stimmung sorgte, wenn für die Kirche gespendet werden sollte. Die Predigt wurde ausschließlich von Frauen abgehalten, weil heute Muttertag in Tansania ist! Aus diesem Anlass sang auch ein reiner Frauenchor ein paar wundervolle Lieder auf Swahili.

Eine Predigerin, die auch bei der Band mitsingt, setzte sich während der Vorstellung zu mir und erklärte mir, worüber die Priesterin gerade spricht. Ich konnte nicht ganz meine Wissenslücken im Bereich Christentum verbergen, aber negativ stieß das nicht auf. Mich hat nie jemand gefragt, ob ich gläubig bin. Kurz danach betraten vier Händler die Bühne und es wurden riesige Stofftücher verkauft. Jeder konnte Geld dazu beisteuern, dass jemandem oder der Kirche dieses Tuch gekauft wird.

Ich saß auf meiner Bank in der zweiten Reihe und guckte dem Ganzen interessiert zu. Auf einmal drehte sich die dritte Verkäuferin zu mir und sagte: „Das ist für dich. Jetzt gucken wir, ob wir genug Geld zusammenkriegen, um dir das zu schenken.“ Spätestens jetzt war mir die unglaubliche Gastfreundschaft bewusst geworden. Ich konnte es nicht glauben, dass diese Leute, die zwar nicht alle arm sind, aber wesentlich weniger haben als wir, so großzügig sind. Ich habe erst freundlich abgelehnt, weil ich nicht wollte, dass Leute, die kaum Geld für eine Renovierung haben, Geld für ein Geschenk für mich ausgeben. Aber die Leute ließen sich nicht überreden und so gab ich immerhin etwas Geld zu meinem Geschenk, einem schönen, großen, schwarz-orangenen Stofftuch, dazu.

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Ich bedankte mich nochmal und kurz danach endete die Messe draußen vor der Kirche, an der Bananen und Zuckerrohre verkauft wurden. Bei mir waren die Instrumentalisten der Band, die mit mir nochmal in die Kirche gehen wollten, um ein weiteres Mal ein wenig Musik zu spielen. Das ließ ich mir nicht zweimal sagen und so ging es nochmal rein und an die Trommeln. Es gibt zwei Sachen, die jeder versteht, egal von wo man kommt: Musik und ein Lächeln. Von beidem gab es heute reichlich!

Mittlerweile habe ich ziemlich Kohldampf bekommen! Ich fragte, ob und wo es hier einen Markt gibt, aber die Frage führte zu etwas ganz anderem. Denn mein Freund Johnson, der mich gestern in die Kirche eingeladen hat, lud mich heute zu sich nach Hause ein. Bei ihm angekommen, hat seine Mama, die aus Kenia stammt Reis mit Hühnchen, Tomaten und Salat für uns gekocht. Die Hühnchen haben sie dort sogar selbst angepflanzt!

Johnson zeigte mir nicht nur sein zuhause, sondern auch noch seine Gegend und das zuhause seines Onkels, der mich ebenfalls sehr willkommen hieß. Während ich ein zweites Mal Mittag aß, erzählte ich ihm, dass ich so begeistert davon bin, wie die Leute aus Tansania, Fremde aufnehmen und er meinte zu mir, dass sie von klein auf lernen, freundlich zu Fremden zu sein. Man muss sich auch nicht verabreden, um sich bei irgendjemandem zu treffen, sondern man geht einfach hin und isst und quatscht dann dort. So kam es, dass ich nicht der Einzige war, der gerade das zweite Mal Mittag ist, denn Johnson´s Onkel hatte eben noch seine Freunde besucht.

Die Leute hier hungern nicht. Der Fluss ist gerade, kurz vor der Regenzeit ausgetrocknet, dennoch haben, soweit ich das mitbekommen habe, alle genug Wasser. Natürlich sind hier viele Leute sehr arm. Viele sind aber auch nicht arm, sie haben nur nicht viel Geld. Nicht genug, um die Wände zu sanieren oder den Fußboden zu erneuern. Das Geld reicht für einen älteren Fernseher oder eine schöne Couch, aber es ist eben nicht ausreichend, um das Haus insgesamt auf Vordermann zu bringen.

Und arm sind die Leute ohnehin nicht – so viel wie sich Lachen.

Mein Freund Johnson zeigte mir die angrenzenden Berge, zu denen ich morgen wandern werde. Immer wieder grüßen uns Leute, die ihre Mundwinkel nach oben ziehen, sobald sie uns sehen. Das Wort, dass ich am meisten höre ist: „Karibu Sana“ also „Willkommen“. Ich bin noch nicht genug in Afrika rumgereist, um beurteilen zu können, ob Tansania eine Ausnahme ist, aber in Thailand zum Beispiel war es wesentlich schwieriger einen Einblick in das Leben der Einheimischen zu erlangen. Hier kommt man gar nicht drum herum.

Liegt es daran, dass ich allein reise, an dem Land und seiner Kultur oder an was ganz anderem? Noch habe ich die Antwort nicht gefunden, allerdings wird ein Teil der Gastfreundschaft in der Kirche vermittelt, die es sich zur Aufgabe macht Leute willkommen zu heißen und zu empfangen.

Mein Freund brachte mich noch nach Hause und wir beschließen, dass wir uns morgen Abend nochmal treffen werden – kurz bevor ich abfahre. Ich bedankte mich für die Zeit, die er sich genommen hat und lud ihn nach Berlin ein. Interessant war für mich, wie er reagiert hat, denn er antwortete: „Ja, das wäre cool. Ich will gerne nach Berlin reisen!“ Er hat direkt gefragt, wie man ein Touristenvisum kriegt. Es ist interessant zu wissen, ob die Leute sich so eine Reise überhaupt leisten können. In diesem Fall anscheinend schon.

Gerade saß ich noch auf der Terrasse und habe auf der Gitarre gespielt, die mir meine Vermieterin Lisa ausgeliehen hat. Es hat allerdings angefangen zu regnen und zu stürmen und so habe ich mich entschlossen reinzugehen und den Blog zu schreiben. Jetzt bin ich an dem Punkt angelangt, an dem ich mein Leben live dokumentiere. Wow. Spannend. Er tippelt in die Tasten. Und schon wieder hat er sich verschrieben und muss das Wort neu schreiben. Mann Mann Mann. Der André.

André schreibt – 05.03.2017 – Morogoro

Wohinnoch? ist ein Reiseblog, in dem wir mit ausgiebig Zeit die weniger beachteten Orte dieser Welt besuchen.

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